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Prof. Dr. Peter Römer

Kelsens Schreiben

Kelsens Schreiben

Eugenio Bulygin, emeritierter Universitätsprofessor in Buenos Aires erhielt 2003 vom Hans Kelsen – Institut in Wien die Aufforderung, zu einem nachgelassenen Manuskript Kelsens zu „Geltung und Wirksamkeit des Rechts“ Stellung zu nehmen.

Kelsen hatte sein Manuskript wohl zwischen 1967 und 1970 geschrieben; der Aufsatz von Bulygin „Der Begriff der Wirksamkeit“ erschien 1965.

Bulygin schrieb 2003: „Dass ein Mann vom Range Kelsens einen Aufsatz eines jungen und vollkommen unbekannten Verfassers (es handelt sich um eine meiner ersten Veröffentlichungen) gelesen und kritisiert hat, ist beinahe unglaublich.“

Auch mir war - und ist es noch immer – unglaublich, dass Hans Kelsen, nach vielfacher Einschätzung „Der Jurist“ seines Jahrhunderts, der „Einstein der Rechtswissenschaft“, mir auf meinen ihm zu seinem 90. Geburtstag 1971 gewidmeten Aufsatz sehr freundlich und verständnisvoll antwortete.

Als ich die “Reine Rechtslehre Hans Kelsens als Ideologie und Ideologiekritik“ schrieb, war ich erst seit wenigen Jahren Assistent in Marburg von Wolfgang Abendroth, der Hans Kelsen auch schätzte.

Mein Aufsatz erschien zuerst in der Politischen Vierteljahreschrift, 1971, S.580 -598, wurde dann im Band 5 der Beiträge der dialectica minora de Centro die Studi Filosfici Sant` Abbodio, Verlag Dinter, Köln 2009, „Hans Kelsen“ wieder abgedruckt, ebenso auf meiner Homepage www.roemer-peter.de


Hans Kelsen antwortet mir am 8. August 1971 auf dem Briefpapier der Univerity of California, Berkeley, Departement of Political Science in einem handgeschriebenen, von ihm unterzeichneten Brief:

 

Sehr geehrter Herr Dr. Römer:

Obgleich ich nicht glaube, daß die Reine

Rechtslehre in einer wesentlichen Beziehung zu den

von Karl Marx vertretenen Thesen steht, habe

mich doch Ihre Absicht, mir den Aufsatz „Die Reine Rechtlehre H.K,s als Ideologie und Ideologiekritik“ zu widmen, wegen der in dieser

Absicht sich äußernden freundschaftlichen

Gesinnung sehr gefreut.

Indem ich Ihnen für die Zusendung Ihrer

Arbeit und Ihren Brief herzlichst danke,

bleibe ich mit den besten Grüßen

Ihr

Hans Kelsen


Kelsen schrieb diesen Brief zwei Jahre vor seinem Tod. Unermüdlich und zügig arbeitend hat Kelsen sehr viel veröffentlicht. In seinen letzten Lebensjahren hat er nichts mehr drucken lassen. 1968 erschien seine letzte Schrift „Logisches und metaphysisches Rechtsverständnis. Eine Erwiderung.“

Es ist staunenswert, dass er in dieser Situation geneigt war, diesen Brief an mich zu diktieren.


Nach diesem ersten Aufsatz zu Kelsen habe ich mich in weiteren Beiträgen mit dem Werk Kelsens auseinandergesetzt. Sie sind zuerst einzeln erschienen und dann in der dialectica

Reihe und auf meiner homepage abgedruckt worden. Es handelt sich um weitere elf Aufsätze.

Der letzte Beitrag erschien 2002 in der Festschrift für Manfred Welan mit dem Titel „Die Demokratietheorie Hans Kelsens und das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“.

Nach 2002 habe ich mich immer noch mit Kelsen beschäftigt, aber geschrieben habe ich zu marxistischen Theorie und zum Verfassungsrecht.

Seit 1971 sind viele Jahrzehnte vergangen. Vieles schriebe man heute vielleicht anders. Aber

von der rechtswissenschaftlichen Bedeutung Kelsens bin ich noch immer überzeugt und meine, gerade für Staaten, die verschiedene Völker, Sprachen und Zeitzonen umfassen, wie z. B Russland oder China könnte die Geltungslehre Kelsens von Bedeutung sein.

2020 wurde von Thoma Olechowski unter Mitarbeit von Jürgen Busch, Tamara Ehs, Miriam Gasssner und Stefan Wedrac das Buch veröffentlicht „Hans Kelsen Biographie eine Rechtswissenschaftlers.“ Das Werk umfasst 1024 Seiten und enthält 47 eng beschriebene Seiten von Literaturhinweisen. In diesen ist lediglich mein Nachruf für Kelsen „Hans Kelsen“, Deutsche Richterzeitung 1973 erschienen, Meine übrigen Schriften zu Kelsen werden nicht erwähnt. Diesen Nachruf für Kelsen habe ich nicht in den Kelsenband aufgenommen. Nicht weil ich nicht mehr zu ihm stehe; er ist aber persönlich gehalten, nicht wissenschaftlich.

Da Olechowski von meinen zahlreichen Beiträgen zu Kelsen lediglich meinen knappen Nachruf zitiert, liegt objektiv eine nicht unbedeutende Fehl- und Desinformation vor; wird das Lesepublikum irregeführt-

Das Ver- und Beschweigen meiner Kelsenbeiträge ist fehlerhaft und rufschädigend - und das keinesfalls nur für mich. „“

Die Organe des Hans Kelsen – Instituts haben Grund, sich mit dieser Angelegenheit zu beschäftigen.


Die Beiträge Band 5 der dialectica minora „Hans Kelsen“ mit 11 Beiträgen sowie der Band dialectica minora Band 1 „Das kapitalistische Privateigentum“, darin der Aufsatz: „Die Kritik Hans Kelsens am der Juristischen Eigentumsideologie“ können zum verbilligten Preis von 10,00 Euro bei dem Antiquariat Jürgen Dinter, Buchholzstr. 8 D 51061 Köln oder bei mir, Emilienstr.29, 34121 Kassel bestellt werden.



10.12.2021

Rezension zu Constanze und Dieter Kraft "Kritische Gesellschaft, humanes Christentum"

EINLEITUNG

Constanze und Dieter Kraft haben in Ihrem Band, Einsichten und Widersprüche. Texte aus drei überwältigten Jahrzehnten, Mangroven Verlag 2020, 17 Beiträge herausgegeben, in denen sie verschiedene, sehr politische und aktuell wichtige Themen behandeln, stets kenntnisreich, klug abwägend und eigengeprägt. Die Zeitschrift „Aufhebung“ für dialektische Philosophie, bat mich diesen Band zu rezensieren.

Das freute mich. Die „Aufhebung“ ist eng mit Hans Heinz Holz verbunden.

Als ich noch Assistent von Wolfgang Abendroth in Marburg war, wurde Holz nach Marburg berufen, nach schwierigen Auseinandersetzungen.

Wir lernten uns kennen und schätzen; Holz wollte mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fachbereichen eine an materialistischen Arbeitsformen gebildete Gruppe bilden und lud mich als einziges Mitglied der Politikwissenschaft ein, daran mitzuwirken. Das tat ich gern. Der Antrag auf Bildung der Arbeitsgruppe wurde auch im Senat der Philipps-Universität behandelt, aber durch den Weggang seiner treibenden Kraft, Hans Heinz Holz, auf einen Lehrstuhl in den Niederlanden konnte das Projekt nicht verwirklicht werden.

Später bot mir Holz an, in der von ihm herausgegebenen Reihe dialectica minora de Centro di Studi Filosofici Sant’Abbondio Schriften von mir in fünf Bänden herauszugeben, Köln 2009.

Auch in seiner Autobiographie nahm mich Holz noch nachträglich in Schutz vor herrschaftslüsternen Kollegen am Fachbereich.

Zwischen Dieter Kraft und Hans Heinz Holz bestand ebenfalls eine enge Verbindung, weil Kraft die Zeitschrift von Holz „topos“ herausgab, die nach dem Tode von Holz leider aufgegeben wurde.

Es gab also gute Gründe, für die „Aufhebung“ das Buch der Krafts zu rezensieren.

Leider erwies sich das als schwieriger als ich dachte. In der gebotenen Kürze konnten die 17 Beiträge nicht behandelt werden, von denen jeder seinem Inhalt nach besprochen werden sollte. Nach einigem Zögern entschied ich mich, von Constanze und Dieter Kraft je zwei Beiträge auszuwählen, in der Hoffnung, damit das Leseinteresse an der Lektüre des ganzen Bandes zu wecken.

Allerdings befürchtete ich, dass die Redaktion dies Verfahren bemängeln könnte und eine andere Rezensentin oder Rezensenten wählen könnte. Dass dies Buch in der „Aufhebung“ zu besprechen sei, war ich gewiss.

ABWEISUNG DER REZENSION

Nach Anmahnung bekam ich mit einiger Verzögerung von der „Aufhebung“ nur folgende Mitteilung:

„Lieber Peter Römer, mein Name ist Marc Püschel, ich bin so etwas wie der "leitende Redakteur" der Aufhebung und habe vor einigen Monaten die meisten Aufgaben übernommen, die vorher Martin Küpper innehatte. In dieser Rolle möchte ich Ihnen Rückmeldung zu Ihrer Rezension der Schriften von Kraft geben. Wir möchten uns herzlich für die Mühe bedanken. Leider muss ich sagen, dass wir die Rezension in der Form nicht drucken werden. Sie beinhaltet nicht nur noch einige formale Fehler, sondern fokussiert sich auch zu stark auf politisch-historische Aspekte und erläutert kaum philosophische bzw. tiefergehende theoretische Probleme. Sie könnten die Rezension womöglich sehr gut in Periodika unterbringen, die ein breiteres und auch politischeres Themenspektrum abdecken, zum Beispiel die "Marxistischen Blätter" oder "Unsere Zeit". Wir wollen uns in der "Aufhebung" stärker auf genuin philosophische Besprechungen konzentrieren. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.

Danke und mit besten Grüßen

Marc Püschel"

Eine etwas dürftige Mitteilung für die Ablehnung einer in Auftrag gegebene Rezension. Ich glaube nicht, dass Holz sie zurückgewiesen hätte und gewiss nicht mit dieser Begründung, die auch von Kollegen, die mit philosophischer Reflexion wohlvertraut sind, als unsinnig bezeichnet wurde.

 

EINGEREICHTE REZENSION

Kritische Gesellschaft, humanes Christentum

Das Ehepaar Constanze und Dieter Kraft hat 17 Texte aus „drei überwältigten Jahrzehnten“, 1989 bis 2019, vorgelegt. Dem Mangroven Verlag kommt das Verdienst zu, sie herausgegeben zu haben. Der Verlag bedankt sich bei Michael Wengraf für seine Unterstützung bei der Realisierung des Buchprojektes.

Der Mangroven Verlag hat sich als linker, kritischer Verlag schnell und erfolgreich in schwierigen Zeiten bewährt und das wird er auch mit diesem Band tun, so ist die begründete Hoffnung.

Das Autorenpaar Kraft analysiert Gesellschaften kritisch, indem es die verschiedenen Interessen- und Machtpositionen, die sich in ihnen durchsetzen, aufzeigt, die Eigentumsverhältnisse bezeichnet und die religiösen, philosophischen und politischen Ideen und Machtverhältnisse beschreibt, die diese Eigentumsverhältnisse vielfältig absichern und verteidigen. Als Theologen sehen sie die Gefahren, die von christlichen Kirchen ausgehen, die Reichtum und Macht ansammeln und die jeweils bestehenden Macht- und Staatsverhältnisse absichern. Die Krafts betrachten die verschiedenen Gesellschaften und ihre ideologischen und politischen Überbauten stets in ihren historischen Entwicklungen, hier also, wie bei anderen Problemen, materialistisch vorgehend.

Der Verlag weist in einer knappen Einleitung darauf hin, dass die Verfasserin und der Verfasser im biblischen Sinn „provozieren“, also „herausrufen“ und zwar „aus einem Denken und Tun, das unsere alte Welt gefangen hält.“

Thomas Metscher hat dem Band ein Vorwort beigegeben, „Politisches Christentum und das Prinzip Liebe. Tractatus philosophicus-politicus.“ Er hat im Mangroven Verlag folgende Werke veröffentlicht: Integrativer Marxismus. Dialektische Studien. Grundlegung, 2017; Pariser Mediationen. Zu einer Ästhetik der Befreiung. 2.Auflage, 2019; Kunst. Ein geschichtlicher Entwurf, Zur Erinnerung an Hans Heinz Holz und die Gespräche in San Abbondio, 2021.

Metscher erkennt das Prinzip Liebe, die in der Literatur alle anderen umfasst, aber weiterreicht als „die Hoffnung, die Verantwortung und der Glaube.“ Sehr anrührend, berührend und überzeugend verweist er vor allem mit Goethe und Schiller und Neruda auf die Liebe, die den Menschen ergreift und erhöht. Liebe ist der Macht entgegengesetzt, sie herrscht nicht, sie berührt. Bei Schiller zählt die Liebe zu den „produktiven Kräften der sinnlichen menschlichen Natur.“ Der menschenfeindliche „die Unterwerfung fordernde Herrschergott“ mag der Gott einer machtbewussten Kirche sein; das ist nicht der Gott, dem Menschen zugewandt, der liebende und verstehende Gott. Dieser Gott kann kein Geld Gott sein, beherrscht vom Kapitalprinzip mit seinen Verwüstungen. Metscher zitiert Salvador Allende, der feststellt, in der Dichtung Nerudas sei die „Liebe und der soziale Kampf“ enthalten.

In diesem Überblick verweist Metscher Kühn auf das kluge und liebebefördernde Buch der Krafts, „deren Lektüre und Besitz eine nie versiegende Quelle der Freude und Hoffnung“ ist und ein „Modell für einen Marxismus zukünftiger Zeit.“

Ich stimme voll mit Metschers Befund überein und war erfreut, dass ich von der Hans Heinz Holz gewidmeten Zeitschrift „Aufhebung, Zeitschrift für dialektische Philosophie“ beauftragt wurde, den vorliegenden Band zu besprechen. Gern hätte ich, wenn der Platz es zuließe, jeden der siebzehn Beiträge vorgestellt. Aber äußere Umstände verhinderten das, mir zu Leide.

So musste ich mich, auch der erforderlichen Kürze wegen, auf Vier der Beiträge, zwei von Constanze und zwei von Dieter Kraft beschränken.

Von Constanze Kraft habe ich ausgewählt: „Da stand die Sonne still. Biblische Maßgaben für Frauenfiguren im Werk von Peter Hacks.“ Der zweite Aufsatz heißt: “Umsonst gestorben? Die hussitische Bewegung – ein Spiegel der Geschichte.“

Von Dieter Kraft wird auf diese Beiträge abgestellt: „Nachdenken über den Sozialismus“ „Stalin, eine schwarze Legende“

 

REZENSIONEN ZU CONSTANZE KRAFT

DA STAND DIE SONNE STILL

Constanze Kraft, Da stand die Sonne still

Biblische Maßgaben für Frauenfiguren im Werk von Peter Hacks

Der biblische Text, von Peter Hacks einfühlend interpretiert und von Constanze Kraft wundersam nachempfunden, lässt nicht nur die Sonne stillstehen, er bezaubert auch Gefühl und Verstand. Diese Analyse konnte nur von einer Frau und Theologin geschrieben werden in bewusstem und gefühltem Einvernehmen mit Hacks.

Nach Hacks steht, so stellt C. Kraft fest, die Sonne still, wenn das Einssein von „Körper, Geist und Seele erfüllt wird.“ Das geschieht in der Liebesbeziehung zweier Menschen; nach der Bibel also von Mann und Frau. Hacks bezieht sich auf das Buch Josua, in dem Gott hilft, die Amoriter vernichtend zu schlagen und er Israel den Sieg ermöglicht. In dieser Schlacht sprach Josua: “Sonne, steh still zu Gibeon, und Mond, im Tal Ajalon. Da stand die Sonne still und der Mond blieb stehen…“ Erfüllte Sexualität gehört für Hacks zur Menschwerdung hinzu und Sonne und Mond müsse still stehen, wo sich auf der „Erde Entscheidendes tut.“

Nach C. Kraft lässt sich aus der Bibel ablesen, dass „die Geschichte der Menschheit zu einer Hälfte die Geschichte des Klassenkampfes ist und zur andren Hälfte des Geschlechterkampfes.“ Peter Hacks ergänzt: „ Der wissenschaftliche Sozialismus hat seit hundert Jahren theoretisch und seit ein paar Parteitagen praktisch das Zeitalter eröffnet, wo Tugend sättigt.“ Wenn man am Seil ziehe, steigen aus dem Brunnen „Frieden und, endlich versöhnt, die Schwestern Produktivität und Genuss. Aus dem Brunnen steigen der Frieden und das Glück.“ C. Kraft zitiert den berühmten Liebesspruch von Paulus von Glauben, Hoffnung und der Liebe, die das Höchste sei. Für Hacks ist die Liebe immer zugleich die körperliche Liebe und er schreibt: „Wie heißt es bei Paul, dem geborenen Saul? Habt ihr der Liebe nicht, ist schon was faul.“

Wo Liebe ist, herrscht der Friede; davon handelt das Kapitel von Eirene, der Göttin des Friedens. „Die Oliven gedeihen, der Krieg ist vorbei“, dichtet Hacks. Und C. Kraft schreibt: Der Friede wird kommen. Diese Hoffnung teilt Hacks im Jahr 1962 mit Aristophanes im Jahr 412 v. u. Z.“ Schalom ist dagegen kein überzeitlicher Frieden, sondern „allzu oft Frieden nur für Israel.“ Für Hacks ist Eirene ein „Schätzchen ist mein Tag und mein Glück.“

In dem Schauspiel Ompfahle und Herakles widerspiegelt Hax die biblische Geschichte von Simson und Delila und sieht überraschend die Liebe als das gemeinsame Element, denn „Simson liebt. Er öffnet Delila sein ganzes Herz.“ Damit wird ein Geschlechtertausch vorgenommen.

Von den übrigen Anmerkungen, die von C. Kraft zu Hax trifft, sei um des politischen Bezugs willen an Semiramis erinnert. Zu diesem Stück schreibt Hax, es sei ein empfehlenswertes Stück, „und ein überaus anwendbares, falls Sie einen König haben, der nicht recht weiß, was er will.“ Mit dem König ist Erich Honecker gemeint.

UMSONST GESTORBEN?

Constance Kraft Umsonst gestorben?

Die hussitische Bewegung – ein Spiegel der Geschichte

Constance Kraft hält die hussitische Bewegung für eine revoltierende Bewegung am Ende des Mittelalters. Sie sieht in ihr eine klassenkämpferische Bewegung gegen den Feudalismus. Sie verfolgt knapp und konzentriert wie in vielgestaltiger Form, aber mit einheitlicher Ausrichtung die Macht, der Herrschaftswille, die Ausbeutung und das sanfte Wohlleben der Adligen und der Priester ersetzt werden soll durch eine gemeinsame Selbstbestimmung und ein Leben in und mit der Güte Gottes. Die unter Lasten und in vielfachen Beschränkungen lebenden Bauern waren die Hauptkräfte der revolutionären Bewegungen.

C. Kraft analysiert diese Aufstände und Kämpfe europaweit sehr exakt und verweist auf die Unerbittlichkeit, die grausame Härte und die Verlogenheit derjenigen Klassen, die ihre Rechte und Vorrechte verteidigen. Die Reform und grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft ist im Mittelalter zugleich eine Reform der Religion. C. Kraft fordert die Demut der Menschen und Priester nicht nur vor Gott sondern auch vor den anderen Menschen; Armut wird deshalb auch von den Priestern gefordert und mit Mildtätigkeit werden die Mitmenschen geachtet.

In der Bibel und nicht in kirchlichen Dogmen und Lehren ist der Glaube und die Ordnung der Gesellschaft enthalten und im „Kelch für alle“ die Gleichheit aller Christen. Das von Christus gelehrte und vorgelebte Dasein soll Leben und Handeln der Gläubigen bestimmen, nicht die Vorschriften der Priesterschaft und der weltlichen Herrscher.

Die hussitischen Bewegungen haben sich, trotz anfänglicher Erfolge, nicht durchsetzen können und wurden geschlagen und zum großen Teil vernichtet. C. Kraft stellt mit Kalivodas fest, dass die historische Erfahrung lehrt, der rechte Flügel der Revolution liquidiere die Revolution, die ihn allererst hervorgebracht hat. Sie zitiert Friedrich Engels aus seiner Schrift über den deutschen Bauernkrieg: “Wer profitierte von der Revolution von 1525? Die Fürsten. – Wer profitierte von der Revolution von 1848? Die großen Fürsten …“ Und sie fügt hinzu: Bei aller Unvergleichbarkeit der historischen Umstände müssen wir heute hinzusetzten: Wer profitierte von der Konterrevolution von 1989? Die riesengroßen Fürsten – die Weltkonzerne.“

REZENSIONEN ZU DIETER KRAFT

STALIN, EINE SCHWARZE LEGENDE

Dieter Kraft, Stalin eine schwarze Legende.

Vortrag auf der Gedenkveranstaltung des Marx-Engels-Zentrums (MEZ) am 24.11.2018: „Domenico Losurdo - Was wir von ihm lernen können“

Dieter Kraft hat aus Losurdos Schrift „Stalin. Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende mit einem Essay von Lucano Canfora, 3. Auflage 2017“, PapyrRossa Verlag Köln viel gelernt und kann dies gut, konzentriert und problembewusst uns vermitteln. Losurdos Analyse ist Krafts Ausgangsanalyse, um die wichtigsten, hochkontroversen Bewertungen Stalins zu benennen und zu beurteilen.

Eine mutige Tat.

Beide Autoren stellen fest, der Krieg sei ein ständiger Begleiter Russlands gewesen. Angefangen hat in der Neuzeit Russland keinen Krieg. Es galt, die Kriege zu bestehen und zwar nicht als ein Russland das beherrscht, unterdrückt, ausgebeutet, vom Privateigentum bestimmt ist, sondern als sozialistischer Staat.

Im 1.Weltkrieg befand sich Russland mit Deutschland im Krieg. Lenin und Stalin hielten seine Beendigung für unaufschiebbar, vor allem wegen der Forderungen der Soldaten und der Bauern. Alle Kräfte wurden nach Lenins Meinung für den Aufbau der Sozialismus in Russland gebraucht. Trotzki und andere hielten an dem Ziel fest, die Weltrevolution zu organisieren. Lenin setzte sich durch; ein Schandfrieden musste geschlossen werden, der Russland enorme Lasten auferlegte.

Von militärischen Aktionen war Russland damit keineswegs befreit. Gegen die Interventionen ausländischer kapitalistischer Mächte musste es sich wehren und im Inneren die Weißgardisten niederkämpfen. Lenin versuchte, anfänglich nicht ohne Erfolg, durch die partielle Zulassung marktwirtschaftlicher Kräfte die Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit zu steigern. Diese Politik musste aufgegeben werden, weil Russland mit seiner Revolution vollkommen allein gelassen wurde. Vor allem die deutsche Sozialdemokratie ging schmähliche Bündnisse mit den überkommenen Mächten im Militär, in der Gesellschaft und im Staat ein.

Der Hass, den Ebert gegen die Revolution kultivierte, wurde Teil der Überzeugungen der Sozialdemokratie und damit eines nicht unbeträchtlichen Teils der arbeitenden Bevölkerung. Aus dieser Lage ergab sich für Russland die Notwendigkeit, den Staat zu stärken und seine planenden, organisierenden und exekutierenden Kräfte zu entwickeln.

Im Januar 1933 wurde Hitler und der NSDAP die Macht übertragen, die sofort und rigoros gegen die Kommunisten, Juden, und alle Gegner der Faschisten angewandt wurde. Diese Machtergreifung wurde von Stalin und seinen Anhängern erwartet und war ein wesentlicher Grund, den Staat und seinen Sozialismus zu stärken, seine industrielle Produktion fort zu entwickeln und seine Militärmacht auszubauen.

Das bedeutete, sich von allen staatsabgewandten, volksaufständischen Freiheitsillusionen zu verabschieden und für die ausreichende Ernährung der arbeitenden Bevölkerung und des Militärs Sorge zu tragen. Die Führungsschicht unter Stalin glaubte das nur erreichen zu können unter strafrechtlich begründeter Ausschaltung auch altgedienter Genossen und der Verfolgung der Kulaken und ihre Enteignung.

Zu diesen Ereignissen nimmt Losurdo unter grundsätzlicher Zustimmung des Ehepaars Kraft eingehend, mit dialektischem Verständnis und sorgfältig abwägend Stellung.

Hitler und seine Anhänger und Unterstützer haben von Anfang an nie einen Zweifel aufkommen lassen an ihrer grundlegenden, radikalen, gewaltbereiten Ablehnung des Kommunismus. An ein friedliches Zusammenleben mit dem nationalsozialistischen Deutschen Reich konnte in der sowjetischen Führung deshalb niemand glauben.

Unterstützung von anderen Mächten erhielt die UdSSR nicht. Es bestand zunächst eine Appeasmentpolitik und Polen verweigerte Russland den Durchmarsch von Truppen. Russland bereitete sich auf den Krieg vor durch eine umfassende Verlagerung von Fabriken und sonstigem Material in den Osten des Reiches Mit einem Vertrag mit Deutschland versuchte es Aufschub zu gewinnen.

1941 entfesselte das Deutsche Reich seinen Krieg gegen Russland, das mit einem späteren gerechnet hatte. Dieser Krieg wurde mit großer Härte, Ausdauer und sehr beträchtlichen Verlusten geführt. Russland hat ihn gewonnen zusammen mit den beteiligten Westmächten. Stalin hatte an diesem Sieg einen beträchtlichen Anteil; das wurde in Russland und von allen Kriegsparteien anerkannt. Chrustschow bestritt dies in seiner Geheimrede 1956 entschieden und nicht ohne Erfolg.

Noch kurz vor Ende des Krieges hatten führende Kräfte der nationalsozialistischen Partei und des Militärs gehofft, zusammen mit England und den USA gegen Russland vorzugehen. Eine abwegige Idee, die allerdings auf dem grundsätzlichen Widerspruch zwischen dem Kapitalismus und dem Sozialismus beruhte. Der „kalte Krieg“, der aus diesem Widerspruch entstand und „der durchaus auch ein Krieg war“, und die neue Form, in der Russland bekämpft wurde.

Auch nachdem die BRD Staat und Gesellschaft der DDR in sich eingesaugt hat und Russland kein sozialistisches Land mehr ist, fügt sich die BRD entschieden in die antirussische Front ein und hofft, den russischen Staat zu schwächen und westlich gefügig zu machen. Stalin wird als Monster abgelehnt und der öffentlichen Verachtung preisgegeben. Diese Kampagne gipfelte in der Behauptung Stalin habe wie Hitler gehandelt, beide hätten totalitäre Systeme errichtet.

Gegen diese Gleichsetzung von Stalin mit Hitler wenden sich Losurdo und Kraft, der formuliert: „Mit ihr lässt sich Hitler entschärfen und Stalin verschärfen."

Vieles, was unter Stalin geschah, war schrecklich und von schrecklichen Bedingungen diktiert. Aber er hat den Krieg gewonnen und das wurde auch von Churchill und Roosevelt und vielen anderen anerkannt.

Die Eroberungsgier des deutschen Faschismus, die Unterdrückung und Versklavung fremder Völker, die grausame Ermordung von Gegnern des Faschismus, von Kommunisten, Juden, Sinti und Roma, Kriegs- gefangenen: das alles, und das nicht allein, kennzeichnet dieses faschistische System und nur dieses. Dies kann man von Losurdo und Kraft lernen.

NACHDENKEN ÜBER DEN SOZIALISMUS

Dieter Kraft, Nachdenken über den Sozialismus, Beitrag zur wissenschaftlich-politischen Konferenz „23/24 Oktober 1999, in: Klaus Höpcke/ Hans–Joachim Krusch/ Hans Modrow/ Harald Neubert/ Wolfgang Richter/ Robert Steigerwald Nachdenken über den Sozialismus, Schkeudiz, 2000

Kraft hat auf dieser Konferenz zwei Thesen zur Diskussion gestellt. Zum einen versucht er die „quälende“ Frage zu beantworten, ob „der Sozialismus in der Weltgeschichte definitiv untergegangen ist.“ Er ist entschiedener Gegner jenes linken Protestes, den er für dreist und dumm hält, weil dieser den angeblichen „Staatssozialismus durch den wahren und echten und also demokratischen Sozialismus ersetzen will.“

Von Marx angeleitet, geht Kraft, der von sich selbst sagt, er sei kein „bekennender Marxist“, von der umwälzenden, revolutionierenden Kraft der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit aus. Ihrer Entwicklung folgen die Produktionsverhältnisse und der politische und rechtliche Überbau.

Eine grundlegende Umgestaltung dieses Gesamtsystems, das durch eine Vielzahl dialektisch miteinander vermittelter Elemente geprägt wird, geschieht durch die Arbeiterklasse. Im Kapitalismus ist sie ein „dominiertes und ausgebeutetes Subjekt.“ Es kann seine Lage zwar teilweise verändern, aber grundlegend neugestalten können nur die Produktivkräfte. Das war im Sozialismus zuerst der Fall, zuletzt aber nicht. Erst wenn diese Umwälzung beginnt, besteht nach Kraft Hoffnung auf einen neuen Sozialismus.

Aus der Bedeutung der Produktivkräfte folgt für Kraft seine weitere These zum Untergang des Sozialismus: “Eine an revolutionierende Produktivkräfte gebundene revolutionierende Klasse kann ihr Klassenziel nicht in der Aufhebung der Klassenunterschiede sehen, weil ihr erstes Interesse immer in der Aufhebung überkommener Produktionsverhältnisse bestehen wird.“

Diese richtige, marxistisch fundierte Erkenntnis müsste Kraft eigentlich zur Auseinandersetzung mit der Entwicklung in China führen. Nur ganz am Rande erwähnt Kraft, man solle nicht resignieren, schließlich gäbe es ja auch noch China, Kuba, Vietnam und Nordkorea. China wird hier in eine Reihe von Staaten eingereiht, was seiner Bedeutung gewiss nicht gerecht wird.

China hat seit 1972 einen staunenswerten wirtschaftlichen Aufschwung genommen und sein gesellschaftliches und politisches System grundlegend neugestaltet. Es hat sich zur Weltmacht emporgeschwungen und es ist abzusehen, dass es die noch vorhandenen Restbestände an Armut wird beseitigen können.

Weit über tausend Jahre hinaus war China ein hoch entwickeltes, reiches, mächtiges Land mit ausgeprägter Kultur. Im neunzehnten Jahrhundert wurde China durch militärische und wirtschaftliche Maßnahmen des Westen in eine Lage gezwungen, die einer Kolonie ähnlich war. Verheerend wirkte der Opiumkrieg Englands, der China zur Einfuhr von Opium zwang.

Nach der Eroberung der Gestaltungsmacht durch Gesellschaft und Staat mussten die neuen sozialistischen Verhältnisse geschaffen werden. Zur Änderung der desaströsen Lage gab es nur geringe Mittel, vor allem wenig Rohstoffe. Man versuchte, neue Arbeitsformen einzuführen, um die massenhaft vorhandenen Arbeitskräfte für die Steigerung der Produktivkräfte einzusetzen.

Ab 1972 wurde eine neue spezifisch chinesische Wirtschaftsweise etabliert, die Sozialismus und eine, diesem untergeordnete, Privatwirtschaft zusammen führte. Der Staat legt in verbindlichen Jahresplänen die Ziele fest und bestimmt, wie diese zu erreichen sind. Der Staat hat das Eigentum an Grund und Boden und an Produktionsmitten, die für das gemeine Wohl erforderlich sind, insbesondere für die Ernährung, das Wohnen, die Medizin und die Finanzen. Er ist auch Eigentümer zusammen mit anderen Eigentümern an privatwirtschaftlichen, gewinnorientierten Unternehmungen, die bestrebt sind, die Bedürfnisse von Einzelpersonen zu befriedigen und dem technischen Fortschritt zu dienen.

Wer über das Ende des Sozialismus nachdenkt, hat viele gute Gründe über den Sozialismus in China nachzudenken. Das versäumt Kraft.

 

17.04.2018

„Bollwerke der Volksfront errichten“ in Griechenland und überall, wo das Monopolkapital herrscht und Kriege führen lässt.


Anmerkungen zum Weltmachtstreben der BRD, zur Kriegsgefahr und zum Verhältnis von Volkssouveränität, Volksfront und Demokratie

„In Griechenland existiert gegenwärtig nicht einmal die Spur eines Volkes“
Zitiert aus einem Gespräch von Hansgeorg Hermann mit dem Komponisten Mikis Theodorakis, FAZ vom 03.01.2018, S.12
Die Frage, auf die Theodorakis wie zitiert antwortete, lautete: „Eine Frage zur Tagespolitik: Kürzlich haben Sie wieder eine „Volkfront“ gegen die europäische, die finanzpolitische Unterwerfung Ihres Landes gefordert. Wie könnte dieser Widerstand aussehen? Wollen Sie selbst als Zweiundneunzigjähriger noch eingreifen?
Das ist nunmehr Vergangenheit. Denn unter Anwendung der Rezepte der politischen Rechten übertraf eine sogenannte linke Regierung sogar die Politik des shock and awe, mit der der Internationale Währungsfonds den Willen und die Wünsche des Volkes zerstört hat. In Griechenland existiert gegenwärtig nicht einmal die Spur eines Volkes. Den Griechen ist schwindelig geworden, sie haben sich hingelegt. Wer weiß schon, wie und wann sie es schaffen werden, wieder auf aufrecht auf beiden Füßen zu stehen. Wen soll ich also rufen, die Liegenden?“
Theodorakis hat sich früh und sehr entschieden gegen die Politik von Tsipras und der Syriza gewandt.
In einem Beitrag auf dieser Homepage habe ich ihn zustimmend zitiert und in weiteren Beiträgen Kritik an der Politik von Tsipras formuliert. Leider haben die Kritiker von Tsipras  Recht behalten – und wären doch so gern ins Unrecht gesetzt worden! Es ist sehr verständlich, dass Theodorakis selbst sich nicht mehr in der Lage sieht, aktiv politisch einzugreifen.
Aber die Forderung, eine Volksfront gegen die finanzpolitische Unterwerfung seines Landes zu organisieren, hat er kürzlich wiederholt.
Sie sollte beachtet und diskutiert werden, nicht nur in Griechenland sondern überall, wo das Monopolkapital der Gesellschaft und dem Staat seinen Willen aufherrscht.
Theodorakis hatte bereits im Juli 2015 dazu aufgerufen, eine Volkfront der Linken mit der Kommunistischen Partei Griechenlands, der KKE, zu bilden.
Er schrieb am 25. 8. 2015 an Panagiotis Lafazanis von der neuen Partei, die sich von Syriza abgespalten hatte: „Als alter Kamerad und als Dein Freund, lade ich Dich und die Anhänger der neuen Partei ein, uns auf dem Bollwerk der Volksfront zu treffen, die heute die Würde unseres Volkes hochhält. Und die morgen, wenn sie erwachsen ist, die einzige Kraft sein wird, die unsere Heimat befreien und unserm Volk Freiheit, Unabhängigkeit und Stolz bieten kann.“
Tsipras, Syriza und ihre Gefolgsleute und Bewunderer unter den Linken und denen, die sich als Linke bezeichnen, haben stets und entschieden eine Zusammenarbeit mit der KKE abgelehnt. Die Nichtlinken ja sowieso. Die Folgen dieser Politik kann man in Griechenland sehr deutlich sehen.
„Bollwerke der Volksfront“ zu errichten: Das ist überall der erste Schritt, die erste in Angriff zu nehmende Aufgabe, wenn der Friede bewahrt und die Macht des imperialistischen Monopol- und Finanzkapitals, weil unerträglich geworden, gebrochen werden soll.
Kern eines solchen fortschrittlichen Bündnisses ist eine Linke, die ihre Ziele an Marx und Engels ausrichtet und Lenin studiert. Ihre Aufgabe ist es, alle Kräfte  zu sammeln, auch wenn sie aus der Mitte und vom rechten Flügel kommen, die bereit sind, die Angriffe des Kapitals gemeinsam abzuwehren und aktive Friedenspolitik zu betreiben. Wann, wo, wie und mit wem solche Volksfronten gegenwärtig geschlossen werden könnten, ergibt sich aus der Analyse der aktuellen jeweiligen politischen Situation und den Erfahrungen mit früheren Volksfrontbündnissen.
Jede Front aber, die das Volk für ein Ziel kämpfend vereinen will, muss sich  mit dem Problem auseinandersetzen, was denn unter diesem Volk zu verstehen ist.
Bert Brecht hat festgehalten, das Volk sei nicht tümlich. Es ist auch nicht völkisch und es ist auch keine Ethnie.
Das Volk ist zuerst das demokratische Volk, ist das souveräne Volk, ist das Volk, von dem alle Gewalt ausgeht, die es in Wahlen und Abstimmungen ausübt.  
Dies ist das Volk, das Theodorakis meint, wenn er feststellt, es gäbe davon keine Spur mehr in Griechenland, denn selbstverständlich gibt es das Volk der Griechinnen und Griechen, die er liebt und die ihn lieben.
Aber das souveräne Volk der Griechen wurde erniedrigt und in den Staub getreten; es ist vom Kapital und dessen Handlangern in der gegenwärtigen Regierung seiner Souveränität beraubt worden und kann nicht mehr über sich selbst bestimmen.
Theodorakis ist, wie alle, die eine Volksfront wollten und wollen, weit davon entfernt, das Volk zu idealisieren, er ist fern von allen romantischen Volksvorstellungen.
Die Existenz des Volkes ist vielmehr begründet in seinen materiellen Lebensverhältnissen.
Theodorakis war aktiv im  Widerstand gegen das Obristenregime, das vor allem von den USA installiert worden war, und ist unter ihm gefoltert worden.
Theodorakis ist Marxist und weiß, was Klassen sind und wie sie miteinander kämpfen. Wenn er zur Bildung einer Volkfront aufruft, will er alle Klassen und Schichten zum gemeinsamen Widerstand gegen Ausbeutung, Entwürdigung und Zerstörung ihrer materiellen und geistigen Lebensgrundlagen zusammenführen.
In Griechenland, wo  sich die Troika der Gläubiger vom Flughafen Athen zum Regieren direkt in die Ministerien chauffieren ließ, wurde die Herrschaft des Finanz- und Monopolkapitals überdeutlich geradezu zelebriert.
Aber dies Kapital herrscht überall in der Welt, China und Kuba ausgenommen.
Auch in der BRD ist es eine bestimmende Macht. Das wissen wenige, aber sehr viele spüren es.
Deshalb gibt es einiges an gesellschaftlicher und politischer Bewegung. Das Aufkommen neuer rechter Parteien ist bedrohlich; spätestens bei der nächsten Rezession, der nächsten Finanzkrise, die wahrscheinlich eine gesteigerte Fortsetzung der letzten, noch nicht bewältigten Krise sein wird, droht das ganze System nach rechts hin zu kippen.
Die Hauptaufgabe ist deshalb, eine Front aller demokratischen Kräfte – mag man sie nun Volksfront oder wie auch immer nennen, z. B. demokratische Front, zu bilden, die sich nicht nur gegen rechts wendet, sondern die Ursachen bekämpft, die jene Rechtsentwicklung bewirkten und bewirken werden.
Indes, an eine Front des Volkes ist in der BRD zur Zeit nicht  zu denken. Nicht, dass es nicht auch hier, wie in Griechenland, eine bedeutende Schicht der Ausgeschlossenen, der Abgehängten, der im Hartz IV Zwangssystem permanent Erniedrigten, Unterdrückten, ihrer Würde Beraubten und in Armut Gehaltenen gäbe. Aber im Unterschied zu Griechenland sind sie eine Minderheit und nicht die überwältigende Mehrheit.
Es gibt weder in Deutschland, noch irgendwo in all den Staaten, in denen Monopolgruppen dem Staat und der Gesellschaft  ihren Willen aufzwingen, eine reale Chance, dass eine breite Front des Volkes gegenwärtig den Kampf gegen die neoliberale Profitwirtschaft aufzunehmen bereit wäre.
Aber die gegenwärtigen Eigentums- und Aneignungsverhältnisse werden in Frage gestellt. Das wird auch von Beobachtern festgestellt, denen eine linke Weltsicht nicht unterstellt werden kann, wie z.B. die Analysen von Wolfgang Streeck zeigen.
Überall brechen gesellschaftliche Bruchstellen auf. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse werden zunehmen kritisiert. Kleine Bewegungen werden plötzlich zu gefährlichen reißenden Strömen, z. B. als Wähler von rechten Parteien. Große Landmassen lösen sich vom Festland ab, wie z.B. England oder die Krim, deren Bevölkerung mehrheitlich zu Russland abdriftete.
Kleine Bewegungen der Basis können im politischen Überbau, bei dessen Errichtung nicht immer auf Erdbebensicherheit geachtet wurde, erhebliche Auswirkungen haben.
Neue rechte Strömungen unterspülen das Parteiengefüge. Aber auf den Trümmerfeldern der sozialdemokratischen Parteien erblühen zugleich einzelne farbenprächtige Blumen, von denen man nicht recht weiß, ob sie zur Sorte des wunderschönen roten Mohns gehören, von dem vielleicht bald gesungen werden muss …“aber schon über Nacht ist deine Schönheit verblüht“ oder zur Sorte Mohn, aus dem die Opiate gewonnen werden, mit denen das Volk betäubt wird.
Es wird also erkennbar, dass das neoliberale kapitalistische System auch Gefahrenpotentiale aus sich hervorbringt. Aber in akuter Gefahr befindet es sich nicht.  Das kann sich allerdings plötzlich und grundlegend ändern, bekanntlich wandern am Grunde der Moldau die Steine und das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Aber es gibt eine große, objektiv vorhandene akute Gefahr: Das ist die Gefahr des Krieges.
Diese Gefahr wird allerdings im öffentlichen Bewusstsein noch nicht  als die existentielle Gefahr wahrgenommen, die sie ist. Wenn das Volk  sich dieser Gefahr bewusst wird und dann erkennt, von wem und in wessen Interesse die Kriegsgefahr erzeugt wird, kann eine Einheitsfront für den Frieden eine Erfolgschance haben.
Denn den Krieg vorzubereiten, daran wird eifrig gearbeitet, insbesondere von der Bundesrepublik. Die Forderung des amerikanischen Präsidenten, Europa und solle mehr für die eigene Verteidigung tun, wurde von der Bundesregierung sofort aufgenommen.
Die Umwandlung der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee in ein weltweit agierendes, schlagkräftiges militärisches Einsatzinstrument wird nochmals verstärkt vorangetrieben. Die hohen – zu hohen – Verteidigungsausgaben sollen beträchtlich erhöht werden.
Das Ziel, Weltmacht zu werden, verfolgt die Bundesrepublik schon lange und zielstrebig.
Nachdem die Wiederbewaffnung durchgesetzt worden war – mit Hilfe der SPD, die sie hätte verhindern können, weil ohne sie die erforderliche Grundgesetzänderung nicht zu bekommen gewesen wäre – wurde anfangs sehr vorsichtig und in kleinen Schritten, aber immer zielstrebig und kontinuierlich, dann immer zügiger, daran gearbeitet, die Bundeswehr in eine weltweit agierende Eingriffsarmee umzugestalten und auszurichten. Ziel war keineswegs nur, Land und Leute vor militärischen Angriffen von außen zu schützen, sondern es galt, den Zugriff auf fremde Bodenschätze, internationale Handelswege und auszubeutende Arbeitskräfte weltweit zu ermöglichen und zu sichern.
Einer Großen Koalition gelang es dann die Notstandgesetze zu erlassen. Diese, einschließlich der sogenannten „einfachen“ Notstandsgesetze, sollten die Regierung in die Lage versetzten, im „Notfall“, im „Ernstfall“ (gemeint war der Kriegsfall) weitgehend unabhängig von lästigen Parteien und Bürgerinnen und Bürgern vorgehen zu können. Die „einfachen“ Notstandgesetze, die vorsahen, wieder Sirenen auf den Hausdächern zu installieren, sich mit genügend lebenswichtiger Nahrung zu bevorraten und die der Exekutive umfassende Vollmachten zur Regelung praktisch aller Lebensbereiche erteilten, sollten die Bevölkerung einstimmen auf den Notfall des Krieges.
Die sogenannten Berufsverbote (dazu Helmut Ridder: „Berufsverbote? Nein, Demokratieverbote!“) die von dem SPD Bundeskanzler Willy Brandt initiiert und ausgestaltet wurden, sollten jede Opposition gegen die weitere militärische, wirtschaftliche, ideologische Aufrüstung unterdrücken.
Nachdem die DDR bei getreten worden war und dann auch die UdSSR implodierte, konnte nun endlich, ungehindert von Russland und von der DDR entschiedener nach der Weltmacht gegriffen werden.
Zwar war die BRD nun gänzlich von Freunden umzingelt und hätte, wenn weitestgehend entmilitarisiert, als Friedensmacht Geltung erlangen können.
Aber das war nicht die Geltung, die Deutschland erstrebte. Es wollte Weltmacht unter den Weltmächten sein und dort möglichst weit vorn.
Gibt es eine Chance, dieses deutsche Weltmachtstreben zu stoppen, tendenziell umzukehren und die Gefahr eines Krieges zu mindern? Wenn es objektiv eine solche Chance gäbe und sei sie auch noch so winzig klein, muss sie erkannt und genutzt werden.
Allerdings sollte man auf die deutschen Parteien keine Hoffnung verschwenden.
Die SPD verfolgt seit sie 1914 den Kriegskrediten zugestimmt hat, die damals eingeschlagene Politik bis heute unbeirrt weiter, alle parteiinterne und -externe Opposition niederknüppelnd. Die CDU/CSU ist seit ihrem Bestehen die Partei der Aufrüstung und der militärischen Kraftentfaltung. Die FDP läuft da so mit, betont aber stärker die ökonomische Machtentfaltung, die von den anderen Parteien natürlich auch nicht vergessen wird. Die Grünen haben die Menschenrechte als militärische Erstschlagswaffe entdeckt und sich für den völkerrechtswidrigen, grundgesetzwidrigen und gegen den 2+4 Vertrag verstoßenden Bombereinsatz in Jugoslawien  begeistert und mit den aufsteigenden Bombern ihren grün-moralischen Höhenflug angetreten. Die taz will sich denn auch an Russlandphobie und militärischer Einsatzbereitschaft von niemandem übertrumpfen lassen. In der Partei Die Linke gibt es starke Kräfte, die sich für die Friedenswahrung einsetzen. Aber noch stärkere Kräfte wollen die Partei fit machen für eine Regierungsbeteiligung. Die ist aber ohne aktive Mitwirkung an der militärischen „Sicherheitsarchitektur“ nicht zu bekommen, wie insbesondere die SPD zu betonen nicht müde wird. Die DKP ist einmütig und entschieden gegen Rüstung und Kriegsvorbereitung, aber sie ist verschwindend klein. Die neu als große Oppositionspartei in den Bundestag eingezogene AfD wird wohl auch nicht abseits stehen wollen, wenn es um die militärische Stärkung der BRD geht. Allerdings ist sie, wie auch große Teile der FDP, nicht von dem Bazillus der Russlandphobie befallen und lehnt die Sanktionen gegen Russland ab; wirtschaftliche deals sind ihr wichtiger.
Die militärische Machtvergrößerung und der Einsatz der Armee wird nicht nur von der BRD betrieben, sondern auch von den anderen Staaten der NATO, aber die BRD ist an vorderer Front dabei. Es wird wieder diskutiert, ob es nicht notwendig sei, sich atomar zu bewaffnen
Aber damit nicht genug. Nun will auch die EU sich verstärkt militärisch organisieren, rüstet auf und wappnet sich für den Kriegsfall.
Auf der letzten Münchener Sicherheitskonferenz stellte der geschäftsführende deutsche Außenminister Gabriel fest, man brauche eine „gemeinsame Machtprojektion in die Welt“. Um sie zu realisieren, dürfe man auf das Militärische nicht verzichten. Wenn man „in dieser Welt tatsächlich prägend“ sein will, so Gabriel, sei man auf das Bündnis mit Washington angewiesen, dabei sehe man sich nicht im Gefolgschaftsverband, sondern „auf Augenhöhe mit den USA“, vgl. Jörg Kronauer, Wo ein Wille...jw vom 20.02.2018
Frau von der Leyen, wie stets bemüht sich statt der Amtsbezeichnung Verteidigungsministerin traditionspflegend die Bezeichnung Kriegsministerin zu verdienen,   fordert, zur 2017 eingeleiteten konzentrierten Aufrüstung gehöre der gemeinsame Wille, „das eigene militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen.“
Und auf welchen Gegner zielt der riesige militärische, finanzielle und ideologische Aufwand? Es gibt nur einen Gegner: Russland; und zukünftig wohl auch China. Alle anderen Staaten und Gebiete, in denen Kriege und militärische Aktionen stattfinden oder möglicherweise stattfinden könnten sind keine Gegner, sie stellen für die kapitalistischen Staaten des Westens keine militärische Bedrohung dar; sie sind Landmassen für geostrategische Ziele und Objekte ökonomischen Ausbeutung durch das globalisierte Kapital.
Der IS ist zwar gewiss eine Gefahr in Europa und anderswo und wird es wohl auch bleiben, er wurde ja von den USA und deren „Willigen“ hinreichend aufgepäppelt. Aber wenn auch nur ein Teil der geplanten Erhöhung der Militärausgaben dazu verwendet würde, die Ursachen zu bekämpfen, die den IS hervorbrachten, wäre sehr viel mehr an Sicherheit gewonnen als durch weitere Aufrüstung.  
Warum wird Russland als Gefahr angesehen, gegen die es gelte, sich zu wappnen? Russland ist zwar auch zu einem kapitalistischen Land geworden, aber zu einem, das sich dem internationalen Finanz- und Monopolkapital nicht ausgeliefert hat. Zwar sind die großen Räuber des Volksvermögens nie zur Rechenschaft gezogen worden; viele von ihnen haben große Macht und viel  Einfluss und stellen zum Teil ihren Reichtum obszön zur Schau.
Der Staat jedoch hat sich als  Inhaber der Souveränität gefestigt und hat die politische Entscheidungsgewalt. Er bestimmt den Wirkungsbereich der Oligarchen. Überschreiten diese dessen Grenzen und greifen in den staatlichen Hoheitsbereich ein, können sie froh sein, wenn sie ihr Luxusleben in die Schweiz oder an die Riviera  verlegen können. Das gefällt dem globalisierten Monopolkapital nicht.
Russland ist eine kapitalistisches Land, aber kein expansionistisches. Es ist dies schon allein deshalb nicht, weil es dazu die Macht und die Mittel nicht hat, was aber keineswegs heißen soll, dass es, wenn es die Mittel hätte, sie auch einsetzen würde wie es die USA seit Jahrzehnten tun. Jedenfalls ist es gegenwärtig vollauf damit beschäftigt, seine Wirtschaft zu stärken und seine Verteidigung zu organisieren.
„Killary“ Clinton würde gewiss den Tod Putins bejubeln, wie sie den Foltertod Gaddafis bejubelt hat, aber Russland ist zwar geschwächt, jedoch ist es auch Atommacht und weiß sich zu verteidigen. Das tut auch Not, wenn man an die nachhaltigen Verwüstungen der USA und deren Helfer und Helfershelfer in Vietnam, Afghanistan, Irak, Somalia, Libyen denkt.
Auch in Syrien wollte und will die USA  einen Regimechange herbeiführen und die legale Regierung dieses souveränen Staates völkerrechtswidrig gewaltsam beseitigen.
Russland hat im Nahen Osten legitime Interessen zu verteidigen. Die USA verfolgen  Ihre Politik der Einkreisung und Schwächung Russlands in dieser wirtschaftlich und strategisch wichtigen Region mit allen Mitteln. Sie unterstützen islamische Terrormilizen nicht nur finanziell. Die Probleme des Irak, das Chaos in Libyen sind die direkte Folge der Aktivitäten, insbesondere der militärischen, der westlichen Mächte; diese brachten Tod, Zerstörung, Leid und Elend über die Länder, die Opfer ihrer Machtgelüste wurden. Zu diesem Opfer ist auch Syrien geworden. Dem Eingreifen Russlands ist es zu verdanken, dass es dem Schicksal Libyens bislang entkommen ist.
Russland und China hatten kein Veto gegen den Beschluss des Sicherheitsrates eingelegt, mit dem eine Flugverbotszone im libyschen Luftraum eingerichtet werden sollte; diese sollte dem Schutz der Aufständischen  dienen. Aber Frankreich und die USA beschränkten sich nicht auf die Sicherung des Luftraums sondern bombardierten die Regierungstruppen. Hier, wie auch mit dem Vordringen der NATO an Russlands Grenzen wurden Versprechen gebrochen, berechtigte Erwartungen nicht erfüllt.
So ist es sehr verständlich, dass Russland der Bitte der Regierung Syriens um Beistand folgte. Ein zweites Libyen sollte es nicht geben.  
Das Geschehen in Syrien lässt unter keinem Gesichtspunkt den Schluss zu, Russland verfolge eine aggressive, gewaltbereite Außenpolitik und könnte einen NATO Staat angreifen.
Aber es verfolgte im Widerstand gegen die Interessen der USA und deren Verbündeten und bezahlten Helfershelfern seine eigenen legitimen Interessen im Nahen Osten. Die europäischen Staaten, die NATO und die EU waren nicht unmittelbar betroffen, interessiert an dem Sturz Assads waren sie sehr wohl. Die EU und Deutschland beteiligen sich u.a. am Krieg durch gravierende Wirtschaftssanktionen gegen Syrien.
Die These, man müsse wegen Russland die Verteidigungsanstrengungen verstärken, die EU militarisieren und zur Warnung Russland sanktionieren, wird in der Öffentlichkeit weniger mit dem Vorgehen Russlands im Nahen Osten begründet, sondern mit seinen ukrainischen Aktivitäten
Diese waren eine Reaktion auf einen Putsch gegen die amtierende ukrainische  Regierung, den die USA und auch die BRD von Anfang an unterstützten. Die neu installierte Regierung war russlandfeindlich, amerikahörig, extrem nationalistisch, korrupt sowieso und überließ faschistischen und antisemitischen Kräften wichtige Betätigungsfelder.
Die russlandfreundliche Bevölkerung wurde benachteiligt und bevormundet. Sie wollte ihre Bindungen an Russland nicht aufgeben und sich die russische Sprache nicht verbieten lassen. So begann ein Ablösungsprozess der östlichen Gebiete, den Russland wohlwollend, aber unter militärischer Zurückhaltung unterstützte.
Es hat die Ukraine nicht militärisch angegriffen. Die Bevölkerung der Krim hat sich letztendlich durch Volkentscheid von der Ukraine getrennt und die Russische Föderation hat dem Wunsch des neuen Staates entsprochen, Subjekt der Föderation zu werden
Die Sezession der Krim war nach ukrainischem Verfassungsrecht zweifellos verfassungswidrig. Umstritten aber ist, ob, nachdem nun ein neuer Staat entstanden war, Russland diesen völkerrechtswidrig annektiert hat. Das wurde, immerhin in der FAZ, von Reinhard Merkel verneint. Juristisch ist das nicht unumstritten, wie so viele völkerrechtliche Fragen. Es geht um das Selbstbestimmungsrecht der Völker und also um eine hochpolitische Angelegenheit, denn von Schottland bis Katalonien – um nur in Europa zu bleiben – gibt es Ablösungsbestrebungen.   
In seinem Beitrag „Juristisches zum Krim-Konflikt“ hat Hermann Klenner die Rechts- und Sachlage sehr exakt dargelegt und sehr richtig analysiert vgl. H. Klenner, Kritik am Recht. Aktualisierende Rechtsphilosophie, Berlin 2016, S.384 ff. Er kommt zu dem Ergebnis: „Russlands Verhalten im Krim-Konflikt war legal, auch wenn es den Interessen von USA, NATO, EU, auch der Ukraine widersprach.“
Es ist nicht erstaunlich, dass all diejenigen, die den kalten Krieg gegen Russland wieder betreiben und die Russland militärisch einkreisen und wirtschaftlich schädigen wollen, Russlands Krimpolitik als illegal und illegitim bezeichnen. Aber es ist bemerkenswert und festzuhalten, dass dies ohne jegliche Diskussion und Argumentation als unumstößliche, unbezweifelbare Tatsache festgestellt wird. Eine solche Tatsache ist sie gewiss nicht.
Aber selbst wenn die Aufnahme in die Russische Föderation ein völkerrechtswidriger Akt wäre, der aber unbestritten völlig gewaltlos geschah: Kann damit die enorme Erhöhung des Rüstungshaushalts und die organisierte Kriegsvorbereitung gegen Russland begründet werden? Auf diese Frage kann es, wenn man ehrlich ist, eine andere Antwort als Nein nicht geben
Es geht in Wirklichkeit nicht um eine Verteidigung gegen einen möglichen Angriff Russlands, den weder die USA, noch die Staaten der NATO und die BRD ernstlich befürchten.
Es geht um den Ausbau der Weltmachtstellung der westlichen kapitalistischen Staaten, vor allem Deutschlands, auch mittels Drohung mit militärischer Gewaltanwendung. In einigen osteuropäischen Länder gibt es wohl solche Befürchtungen vor einem russischen Angriff. Ob sie von der Bevölkerung überwiegend geteilt werden, ist nicht sicher, denn die Regierungen dieser Länder sind sehr daran interessiert, ein Bedrohungsszenarium aufzubauen, um sich als Frontstaaten gegen Russland wirtschaftliche, politische und militärische Vorteile zu verschaffen.
Vor allem darf nicht offen ausgesprochen werden, dass es um die Weltmachtambitionen der BRD geht. Deshalb wird Russland als landraubende Schreckensmacht perhorresziert gegen die verstärkt aufgerüstet werden muss. Andererseits glaubt man – realistischer Weise – selbst wohl nicht so recht, mit Hinweis auf Syrien und auf die „Annexion“ der Krim diese Politik rechtfertigen und den Völkern als notwendige Maßnahme verkaufen zu können.
Deshalb wird keine Kriegspropaganda betrieben und Kriegsziele werden nicht benannt. Die Bevölkerung wird auch nicht auf einen Krieg vorbereitet und eingestimmt. Die Bundeswehr hat trotz großzügiger finanzieller Anreize Schwierigkeiten, genügend Soldaten zu rekrutieren. Die Stimmung in Deutschland ist in keiner Weise mit der vor dem 1. Und 2. Weltkrieg zu vergleichen. Kein Stolz auf eine „schimmernde Wehr“, keine bewundernde Ehrfurcht vor militärischer Stärke und von Kriegsbegeisterung nirgends eine Spur.
Die Kriegsvorbereitungen und die allseitigen Aufrüstungen werden aber andererseits nicht verschwiegen.
Die sehr erhebliche militärische Aufrüstung und die neuen strategischen Ausrichtungen werden jedoch nur ganz unzulänglich öffentlich kommuniziert und viel zu wenig diskutiert und kritisiert. Das gilt vor allem für den „Notifizierungspakt“ PESCO.  Darin haben Frankreich und Deutschland vereinbart,  den Rüstungshaushalt regelmäßig zu steigern. Das wird von den weiteren teilnehmenden Staaten bei Strafe des möglichen Ausschlusses auch erwartet. Ein neues NATO Hauptquartier soll in Deutschland errichtet und betrieben werden; lediglich bei Bedarf soll es der NATO unterstellt werden. Dies Hauptquartier soll die schnelle Verlegung von Truppen organisieren gegen Russland hin.
Man bemüht sich jedoch nicht sonderlich um die Zustimmung der Bevölkerung zu der Vorbereitung eines Krieges und zu den militärischen Einsätzen, die man bereits tätigt. Weder erhofft man sich etwas von der Bevölkerung, noch befürchtet man etwas von ihr. Die immer wieder mit ermüdender Gleichförmigkeit vorgetragene Behauptung, Russland habe mit der Annexion der Krim seine Gefährlichkeit unter Beweis gestellt, ist zum Ritual geworden und weil man nicht anderes vorzubringen hat, drückt man immer wieder auf diese Wiederholungstaste des Verlautbarungscomputers.
Was in den Stäben der Armeen, der Politik und der Bürokratie, der EU, der NATO usw. vorbereitet und umgesetzt wird, ist in seinen wesentlichen Teilen öffentlich. Dem Volk gegenüber wird es zwar nicht verschwiegen, aber kollektiv beschwiegen. Es wird zwar besprochen und geplant, welche militärischen Ziele erreicht werden sollen und die geplanten Vorhaben werden auch schrittweise umgesetzt.
Aber dies geschieht auf Grund von Beschlüssen, von denen, die die sich zusammenschließen und sich ihre Eigen-Öffentlichkeit schaffen und dort diskutieren, an Entscheidungen vorbereitet wurde. Die Münchener Sicherheitskonferenz ist ein Beispiel für eine solche Eigen-Öffentlichkeit.
Das Volk bleibt draußen vor und die wenigen Intellektuellen und Friedensbewegten mögen ihre eigenen Kleinstzirkel ruhig haben; es besteht keine Gefahr, dass sie ernstlich stören, wenn man die Massenmedien kontrolliert und wenn hinter den „Edelblättern“, in denen vereinzelt auch mal ein kritischer Kopf schreiben darf, grenzziehend und richtungsweisend die Interessenvertreter des Kapitals stehen.
Der allerbeste Beweis für die Richtigkeit dieser Einschätzung sind die Verhandlungen der Parteien, die in wechselnden Zusammensetzungen die bisherigen Regierungen gebildet hatten, über die Bildung einer neuen Regierung.
Die vorbereitenden Koalitionsgespräche und die sich anschließenden Koalitionsverhandlungen dauerten mehrere Monate; über sie wurde sehr ausführlich berichtet und öffentlich diskutiert. Zahlreiche Stellungnahmen der Parteien, von Verbänden, von diversen Institutionen und Personen wurden unter  das Volk gebracht. In verschwenderischer Fülle wurden Informationshäppchen und Belanglosigkeiten in den Talkshows einem immer weniger geneigten Publikum dargeboten.
Aber nirgends Ausführungen zu den außenpolitischen Vorhaben, zur Russlandpolitik, zu den Sanktionen gegen Russland und zu dem kalten Krieg gegen Russland, der mit eiskalter Entschlossenheit und Rücksichtslosigkeit wieder aufgenommen wird. Vor allem aber keine Silbe zur Militarisierung der EU unter deutscher Führung und der immensen Steigerung der aktuellen und zukünftigen Rüstungsausgaben.
Im Koalitionsvertrag mit seinen 179 Seiten und 8374 Zeilen sind etwas mehr als 1500 Zeilen „Deutschlands Verantwortung für Frieden, Freiheit und Sicherheit in der Welt“ gewidmet und davon 150 Zeilen dem militärischen Bereich. Das ist nicht gerade viel angesichts der ausschweifenden Detailregelungen, die anderen Sachgebieten gewidmet werden. In der Präambel heißt es, die Europäische Union müsse ihre Werte und ihr Wohlstandsversprechen bewahren und erneuern. Vom Aufbau einer militärischen europäischen Militärmacht wird in der Präambel geschwiegen. Von Werten aber wird auch außerhalb der Präambel viel getönt und gesungen.
Es wird allerdings auch Klartext geredet, wenn auch nicht an zentraler und herausgehobener Stelle; Handlungsziele werden benannt sowie die Mittel, die man für erforderlich hält, sie zu erreichen. So heißt es: „Wir werden die Europäische Verteidigungsunion mit Leben füllen. Dabei werden wir die in die PESCO eingebrachten Projekte vorantreiben und das neue Instrument des  Europäischen Verteidigungsfonds nutzen. Wir setzen uns für ein angemessen ausgestattetes Hauptquartier der EU zur Führung der zivilen und militärischen Mission ein.“ Eine „Armee der Europäer“ gelte es zu schaffen.
 Die Mittel des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums der Verteidigung sollen erhöht werden, um den Bedarf der Partner an Beratung, Ausbildung und Ausstattung abzudecken. Die Koalition setzt sich dafür ein, “dass ein gesondertes Finanzinstrument außerhalb der EU-Entwicklungsfinanzierung eingerichtet wird.“ Ziel sei, transatlantisch zu bleiben und europäischer zu werden.
Die Kriegsgefahr ist da. Sie ist deutlich erkennbar. Das ergibt sich aus diesem bewusst sehr komprimierten, sehr knappen Text. Im Scherenschnitt, der nur schwarz und weiß kennt, mit einem solchen lässt sich dieser Text vergleichen, erkennt man mit Deutlichkeit das Profil des Kriegsgottes Mars. Gewiss lässt sich mit der vorhandenen Tatsachenpallette ein großes  farbiges Gemälde malen: Mars in seiner glänzenden Rüstung mit seinem zum Angriff bereiten Heer, umgeben von Rössern und Reitern und den ihm geweihten Vögeln, umzuckt von den Blitzen, mit denen Jupiter ihm beisteht, inmitten der ihm geweihten Tempel und umgeben von Leichenbergen und den Massen der Flüchtlinge. Solche Schreckensbilder müssen gemalt werden und hoffentlich werden sie immer wieder gemalt. Aber auch ohne Farbe zeichnet sich die Kriegsgefahr deutlich genug ab, um der Feststellung von Lucas Zeise zuzustimmen: „Der dritte Weltkrieg wird vorbereitet“, UZ vom 12.1.2018.
Den Krieg vorbereiten, bedeutet nicht, ihn schon konkret zu planen wie Hitler es tat, sodass die KPD damals sehr richtig die Losung ausgab: “Wer  Hitler wählt, wählt den Krieg.“ Aber wer die etablierten Parteien wählt, wählt die Möglichkeit eines Krieges, ohne dass das Territorium der Bundesrepublik angegriffen worden ist. Ob es zu dem Krieg kommt, den man vorbereitet, hängt dann von den jeweiligen Machtverhältnissen und Machtbestrebungen der BRD und der Weltmächte ab.  
Die Frage ist nun, wie verhindert man die Vorbereitung eines Krieges, wie errichtet man Bollwerke des Volkes für den Frieden? Die erste Aufgabe muss sein, dem Volk bewusst zu machen, dass eine hochgefährliche Politik betrieben wird, um Deutschland nun doch noch die Weltmachtstellung zu verschaffen, die zu erlangen es seit 1914 nie aufgegeben hat.
Die sehr kleinen Friedenkräfte leisten eine bewundernswerte, aufopferungsvolle Arbeit. Aber sie bleiben unter sich, wie die Ostermärsche leider zeigen. Es ist selbstverständlich richtig und wird immer richtiger, die Kürzung des Wehrhaushalts zugunsten der Sozialhaushalte zu verlangen, die Abschaffung der Atomwaffen und zumindest ihre Entfernung vom Boden der BRD zu fordern sowie das Verbot des Exports von Rüstungsgütern. Die Liste lässt sich bedauerlicherweise fortsetzen.
Aber das Volk erreicht man damit nicht. Das Volk errichtet nur Bollwerke, wenn es selbst betroffen ist. Soweit die BRD bisher an Kampfhandlungen mittelbar und unmittelbar beteiligt war, fanden sie, von Jugoslawien abgesehen, außerhalb von Europa statt. Diesmal aber geht es um Russland und in ferner, indes gewisser Zukunft um China.
Was ein Krieg gegen Russland bedeutet, dafür haben die beteiligten Völker und gerade auch das deutsche Volk ein sehr gutes kollektives Gedächtnis. Sie wollen keinen Krieg gegen Russland, der aber vorbereitet wird, falls sich keine willigen Gorbatschows und Jelzins finden sollten die bereit sind Russland den imperialistischen Monopolen zu überlassen.
Es kommt also darauf an, alle Kräfte zu sammeln, damit das Volk erkennt: Der kalte Krieg gegen Russland kann jederzeit in einen heißen Krieg umschlagen.
Eine breite öffentliche Kampagne sollte gestartet werden, die bewusst macht, dass die Gefahr eines Krieges droht, dass er vorbereitet wird und dass der Gegner Russland sein wird. Dies ist die Hauptaufgabe; alle anderen friedenspolitischen Aktivitäten, mögen sie noch so wichtig sein, sollten eingefügt werden in diese vordringlich zu bewältigende Hauptaufgabe.
Es ist hier nicht der Ort um zu diskutieren, von wem, wie, mit welchen Mitteln eine solche Kampagne organisiert werden kann. Aber eine Frage lässt sich leicht beantworten: wann soll sie gestartet werden? Sofort, es ist Gefahr im Verzuge.
Der Adressat der friedenspolitischen Anstrengungen ist in allererster Linie das souveräne Volk. Die Parteien und ihre Führungen unterstützen, wie ausgeführt, das Weltmachtstreben Deutschlands. Das Parteivolk indes muss über das gefährliche Treiben ihrer Führungen aufgeklärt und zur Opposition gegen sie motiviert werden.
Entscheidend kommt es darauf an, die Wählerinnen und Wähler der Parteien zu erreichen und zwar aller Parteien.
Wenn es gilt, ein Bollwerk des Volkes gegen Rüstung und Kriegsvorbereitung aufzurichten, sollte jeder, der bereit ist, mit zu schanzen, es tun können als souveränes Mitglied eines souveränen Volkes.

25.03.2018

Rezension

AG Rechtskritik (Hg.),
Recht –Staat – Kritik 1
Rechts- und Staatskritik nach Marx und Paschukanis, Berlin 2017

Der Titel, den die AG Rechtskritik für diesen Beitragsband gewählt hat, ist zutreffend, wenn auch wohl anders als gemeint. Es geht nicht in erster Linie um die Rechts- und Staatskritik von und bei Marx und Paschukanis sondern nach Marx und Paschukanis, die in vielen Beiträgen hinter sich gelassen werden.
Zitiert wird Marx schon, aber bei Ingo Kramer z B, „Eugen Paschukanis und die Frage einer marxistischen Soziologie“ ist Marx nicht leicht zu erkennen in jenem Meer von Bezugnahmen auf andere Autoren, von Assoziationen, von unausgeführten Thesen, herbeigesuchten Zitaten und umrauscht von den aufschäumenden Wellen der  Wörter. Versenkt wird Marx dann im Schlusssatz: „ Die Utopie einer Gesellschaft ohne Warenproduktion, für Paschukanis das perspektivisch gewählte Außen des von ihm analysierten Gesellschaftssystems findet immer wieder ihre Kritiker. Für Marx und Paschukanis ist die Entwicklung der Gesellschaft jedoch in diesem entscheidenden Punkt nicht determiniert: Sie ist veränderbar.“
Marx aber kommt zu dem Ergebnis. „Die Zentralisation der Produktionsmittel und die Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unverträglich werden mit der kapitalistischen Hülle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des kapitalistischen Privateigentums schlägt.“, MEW, 23, S.791. Keine Determination?
 Der Band enthält Beiträge von zwei Tagungen der AG vom Mai 2013 und Mai 2015 deren Themen „Marx und Paschukanis“ und „Marx und Recht. Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtskritik“ waren.
Es handelt sich um eine Auswahl der dort gehaltenen Referate ergänzt um „weitere Beiträge“. Über die Auswahlkriterien informiert die Herausgeberin nicht, auch nicht darüber, welche Beiträge „weitere“ sind; interessant wäre auch zu wissen, warum gehaltene Vorträge nicht aufgenommen worden sind.
Erfreulich ist, dass die Autoren und die – zwei – Autorinnen sich sehr nach ihrem wissenschaftlichen Status unterscheiden. Keine Professorenversammlung also,  in der man sich häufig genug gegenseitig anödet und angiftet.
Aber offenkundig hat die Arbeitsgruppe die Chance nicht genutzt, sich als wissenschaftliches Arbeitskollektiv zu konstituieren, einen gemeinsamen Arbeitsplan zu erstellen, Arbeitsvorhaben zu verteilen und dabei die unterschiedlichen Wissensvoraussetzungen und Arbeitsschwerpunkte zu berücksichtigen.
So ist es wohl auch zu erklären, dass eine eingehende Geschichte der Rezeption und der Unterdrückung der Rezeption des Werkes von Paschukanis fehlt und vor allem eine Analyse seiner Theorieveränderungen im Zusammenhang mit den Änderungen der Politik der UdSSR, insbesondere der Wirtschaftspolitik angesichts des Faschismus und des drohenden Krieges.
Unter dem Titel „Paschukanis‘ Rechtskritik. Eine kurze Einführung in Leben und Werk“ hat allerdings Andreas Harms eine informative Übersicht gegeben. Aber mit 3 Seiten von insgesamt 135 ist dieser Beitrag der kürzeste von insgesamt 11 Beiträgen.
Da wäre mehr mehr gewesen, denn Harms hat eine materialsatte, sorgfältig analysierende Dissertation veröffentlicht, aus der er mit allerbestem Gewissen sich hätte bedienen können.
Weder mit Marx noch mit Paschukanis befasst sich der Beitrag von Ashkan Khorasani und Mohammed Kalali „Proteste von Asylsuchenden und <Recht>“. Die Autoren, selbst Teilnehmer der Proteste, untersuchen, welche Begriffe von Recht in den Straßenprotesten der Asylsuchenden während der Zeit von 2012 -2013  von Protestierenden formuliert wurden und ihre Aktionen mitbestimmten. Die Autoren wollen den Begriff des Rechts nicht theoretisch abhandeln, sondern prüfen empirisch, welche Bedeutung  er für die  Akteure selbst hatte. Erfreulich, dass die Herausgeberin diesen Beitrag, der die Wahrnehmung und aktiv kämpferische Durchsetzung von Rechten existentiell Betroffener zum Gegenstand hat, in den Theorieband aufgenommen hat.
In den meisten Beiträgen wird nicht oder nur sehr sparsam-punktuell auf andere Autoren und ihre wissenschaftlichen Thesen Bezug genommen.
Es ist weder möglich noch nötig, alle 11 Beiträge zu rezensieren, ich werde mich auf drei Aufsätze beschränken, die von einer gemeinsamen Frage ausgehen. Aber vorab möchte ich auf eine drollige Definition von Ausbeutung hinweisen und auf einen Aufsatz, der in besonderem Maße zur kritischen Lektüre Anlass gibt.
In dem Beitrag „Recht im marxschen Denken“ heißt es: “Profit entsteht dadurch, dass die Beschäftigten mehr produzieren als sie durch ihren Lohn konsumieren können. Dies bezeichnet Marx als Ausbeutung.“
Andreas Arndt hat über „Rechtsform gleich Warenform? Zur Methode in Paschukanis‘ Allgemeine Rechtslehre und Marxismus“  geschrieben.
Er kritisiert Paschukanis‘ These, das Rechtssubjekt sei ein in den Wolkenhimmel versetzter abstrakter Warenbesitzer, es werde aus dem Tauschakt abstrahiert  Mit Hegel und mit von Savigny betont Arndt, Freiheit sei als Grundbegriff des Rechts zu bestimmen. Das freie Ich müsse Rechtssubjekt bleiben und nicht im „Säurebad des Kollektivs“ aufgelöst werden. Mit Hegel besteht für Arndt „kein Zweifel, dass die Person als rechtsfähiges Subjekt dabei auch als Eigentümer und vertragsfähiges Subjekt gedacht wird.“
Er kritisiert Paschukanis, weil er „die Funktion des Rechts als Konstituens individueller Freiräume, die der Begriff des Rechtssubjekts als Person impliziert“, nicht kenne.
Das ist richtig, aber nur dann, wenn man wie Arndt sich Freiheit nur als die Freiheit des Eigentümers, des Kapitaleigners denken kann. Das Geld ist dann, wie  es in einem Grundgesetzkommentar formuliert wurde, „geprägte Freiheit“.
Gegen das Argument von Paschukanis, der Endsieg der Planwirtschaft werde die Verbindung der Produzenten zu einer ausschließlich technisch-zweckmäßigen machen, wendet Arndt durchgängig  ein, Gemeinschaftlichkeit könne nur durch die Sicherung von Freiräumen geschehen, in denen die Individuen ihre Individualität geltend machen können, alles andere wäre totalitär.
Arndt beruft sich dabei auch auf Marx. Er führt aus, im ersten Band des „Kapitals“ unterscheide Marx zwischen dem individuellen, auf eigene Arbeit gegründeten Eigentum und dem kapitalistischen Privateigentum an Produktionsmitteln. Ersteres, das individuelle Eigentum sei, so wird Marx zitiert, „auf der Grundlage der Errungenschaft der kapitalistischen Ära: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde und  der durch Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel“  MEW 23, S.791 zuallererst wieder herzustellen. Als individuelles sei dieses Eigentum unterschieden vom Gemeinbesitz.
Arndt zitiert Marx unvollständig; er hat den ersten Teil des zitierten Satzes wegelassen, der lautet: „Diese (nämlich die Negation des kapitalistischen Privateigentums) stellt nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber das individuelle Eigentum auf der Grundlage …“
Arndt stellt fest, das individuelle Eigentum sei unterschieden vom allgemeinen als Gemeinbesitz. Das individuelle Eigentum ist aber kein privater Bereich, ist nicht vom kollektiven Eigentum, das seine Grundlage ist, ausgenommen, ist ihm nicht entgegengesetzt. In einer Gesellschaft ohne Privateigentum wird kollektiv entschieden, wie die  Individuen teilhaben am Gemeineigentum.
Drei Beiträge des Bandes befassen sich mit „Paschukanis‘ geniale Frage“, so formuliert von Andreas Fisahn. Diese Frage wird in den drei Beiträgen jeweils wörtlich zitiert und lautet: „Warum bleibt die Klassenherrschaft nicht das, was sie ist, d.h. die faktische Unterwerfung eines Teils der Bevölkerung unter die andere? Warum nimmt sie die Form einer offiziellen staatlichen Herrschaft an? (kursiv P.R.) oder – was dasselbe ist – warum wird der Apparat des staatlichen Zwanges nicht als privater Apparat der herrschenden Klasse geschaffen, warum spaltet er sich von der letzteren ab und nimmt die Form eines unpersönlichen, von der Gesellschaft losgelösten Apparats der öffentlichen Macht an?
Es ist sehr bedauerlich, dass Ingo Elbe, Heide Gerstenberger und Andreas Fisahn ihre Beiträge gänzlich unabhängig erarbeitet haben und sich mit keinem einzigen Argument aufeinander beziehen.
Ich habe den ersten Teil des Zitats kursiv gesetzt, weil Elbe, im Unterschied zu Gestenberger und Fisahn nur diesen ersten Teil zitiert.
Das ist kein Zufall, denn in seinem Beitrag werden vor allem Hauptprobleme der sogenannten Staatsableitungsdebatte der siebziger Jahre referiert, die allesamt die Problematik des Zwangscharakters des Rechts vernachlässigen.
Elbe fasst seine Überlegungen zum Recht denn auch zusammen, ohne dass auf Zwang und staatliche Gewalt Bezug genommen wird. „Das positive Recht kann demnach als Vermittlungs- und Bewegungsform des Klassenverhältnisses begriffen werden: Der rechtsförmige Tauschakt löst das formationsspezifische Problem der „Kombination von Produzenten und Produktionsmitteln auf der Basis ihrer Trennung“. Elbe zitiert hier Burkhard Tuschling.
Gerstenberger übt herbe Kritik an Paschukanis. Auf die von ihm aufgeworfene Frage gebe er selbst keine Antwort; schließe aber aus, dass es sich bei dem  öffentlichen Charakter der Staatsgewalt um eine ideologische Nebelwand handele. Sie stellt fest, auf seine Forderung „dass die Wurzeln der Staatsideologie in den tatsächlichen Verhältnissen zu suchen sind, folgt: nichts.“ Bei Paschukanis gebe es „keinen Ansatz für eine Theorie des kapitalistischen Staates.“ Das sei kaum erstaunlich, sondern folge aus „dem Umstand, dass er die Gesellschaft und nicht etwa den Staat als Quelle der Rechtsform verstanden wissen will.“ Folgerichtig analysiert Gerstenberger die Bedeutung der politischen Staatsgewalt und kommt zu dem Ergebnis, dass der Staat als Quelle des Rechts fungiert und „dass es keine den ökokomischen Strukturen selbst innewohnende Dynamik gibt, die jene neutralen Formen hervorbringt“,  die Paschukanis „als charakteristische Merkmale des entwickelten Kapitalismus angesehen“ habe. Das entspricht nicht den Erkenntnissen, die Karl Marx zu den Bewegungsgesetzen, der „Dynamik“ der kapitalistischen Ge sellschaft gewonnen und im „Kapital“ eingehend dargelegt hat.
Gerstenberger stellt richtig fest, die freie Lohnarbeit sei historisch „nicht aus der Dynamik von ökonomischen Strukturen erwachsen.“ Das kann man schon bei Marx nachlesen im Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation. Einmal entstanden aber, entwickelt sich die warenproduzierende Gesellschaft gemäß ihren eigenen Gesetzen, die nur durch revolutionäre Tat durch Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln aufgehoben werden können.
Fisahn stellt ebenfalls fest, dass Paschukanis seine geniale Frage nur unzureichend beantwortet habe. Er reformuliert die Frage: “Welche Institutionen und Strukturen begünstigen im Abendland den Übergang in die kapitalistische Konkurrenzwirtschaft und von der Schatzbildung zur Kapitalbildung?“
Er untersucht den Staat als bürokratischen Staat; dieser müsse jenseits der Konkurrenten stehen, „was nicht nur die Zirkulation, sondern auch die Produktion betrifft.“ Befremden, höflich ausgedrückt, löst in diesem Zusammenhang seine Kritik an Karl Korsch aus. Korsch kritisiert Paschukanis wegen der für einen Marxisten äußerst merkwürdigen Überschätzung der Zirkulation. Eine Ableitung des Staates müsse aus der Produktionssphäre erfolgen. Dazu stellt Fisahn fest: „Das ist aber keineswegs der bessere Materialismus, sondern ziemlicher Unsinn. Die Zirkulation gehört selbstverständlich auch zu den materiellen Strukturen und zur Produktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft.“ Diese Selbstverständlichkeit einem Marxisten vom Range Korschs vorzuhalten ist, nun doch auch wiederum äußerst merkwürdig und wird nicht weniger merkwürdig, wenn sich der folgende Satz anschließt: „Sinnvollerweise kann man eine Produktionsweise nicht in verschiedene Sphären aufteilen, die zusammenhanglos“  (kursiv P.R.) existieren und von denen dann der ein oder anderen ein Vorrang eingeräumt wird.“ Diese Sphären bilden jedoch für Korsch eine Einheit, nämlich die Einheit  der Basis der Produktionsverhältnisse mit ihrem politischen und rechtlichen Überbau. Damit befindet sich Korsch in völliger Übereinstimmung mit Marx.
Fisahn kritisiert Lenin, weil dieser den Staat als Instrument der herrschenden Klasse interpretiere und Marx, wenn er den Staat als “Maschine der Klassenherrschaft“ bezeichne. Der Staat sichert, so Fisahn „regelmäßig die bestehenden Macht-, Aneignungs- und Eigentumsverhältnisse. Aber der Staat ist Ergebnis sozialer Kämpfe und kennzeichnet insoweit immer auch eine Kompromisslinie des herrschenden Blocks mit anderen gesellschaftlichen Klassen.“ Der Staat lasse sich auch nicht  als Instrument begreifen „jedenfalls ist dann nicht klar, wer dieses Instrument bespielt -  im Zweifel sind es eben viele, eher ein Orchester, das ausgesprochen schwierig zu dirigieren ist.“
In der französischen und der russischen Revolution konstituierten sich Staaten nicht durch irgendwelche  Kompromisse und die französischen Könige z.B., die nie Dirigenten der Vielen waren, sondern laut auf die Kriegstrommeln hauten und denjenigen, die der Ausbeutung der Feudalherren unterworfen waren, den Marsch bliesen, wurden gewaltsam ihrer Instrumente beraubt und der letzte sogar seines Kopfes.
Als das Sklavenhaltertum und der Feudalismus abgeschafft wurden, geschah das auf vielfältige, unterschiedliche Weise, je nach Ort, Zeit und Machtverhältnissen und auch teils mittels Kompromissen. Aber auf die Frage: Abschaffung oder Nichtabschaffung gab es nur die Antwort: Ja oder Nein.
Das gilt auch für die Beibehaltung oder Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln.
 Es ist eine typisch sozialdemokratische Fehleinschätzung, man könne mit einen  „Ja, aber“ antworten und zugleich die bestehenden Verhältnisse umstürzen. Dann bleibt es eben bei dem Ja.

Diese Rezension ist erschienen in Heft 11/2018 der Zeitschrift Aufhebung. Zeitschrift für dialektische Philosophie, S.73 ff.

SPD nach den Koalitionsverhandlungen


Anmerkungen zu Georg Fülberth, Personal und Politik, junge welt, 10./11.02.2018

Richtiger- und erfreulicher Weise stellt Georg Fülberth fest, es sei interessant, dass in den „Groko“ Verhandlungen die Fortsetzung der Militarisierung der Außenpolitik von niemandem in Zweifel gezogen werde.
Dazu einige Anmerkungen. Die Militarisierung der Außenpolitik wird nicht nur fortgesetzt, sie wird erheblich verstärkt und mit neuen Zielbestimmungen und in neuen Formen fortgesetzt. Das ist zwar eine interessante, aber vor allem eine sehr gefährliche und bedrohliche Politik. Zu ihr stellt Lucas Zeise fest: „Der dritte Weltkrieg wird vorbereitet“, unsere Zeit vom 12.01.2018. Während der Koalitionsverhandlungen wurde abschließend beschlossen, ein neues NATO Hauptquartier in Deutschland zu installieren. Es soll von Deutschland betrieben werden und von ihm aus sollen auch Militäreinsätze außerhalb des NATO Gebietes geplant und geführt werden. Als mögliche Gegner in Europa wird Russland ins Auge gefasst. Bereits beschlossen wurde der Truppenaufmarsch an der Grenze zu Russland durch die Truppenverstärkung in Polen, Litauen, Lettland und Estland. Im Militärbündnis PESCO haben sich 23 EU-Staaten zusammengeschlossen, um die regelmäßige Erhöhung des Rüstungsetats und die Bereitstellung von Soldaten für die Krisenreaktionskräfte der EU zu organisieren. Zu alldem keine Stellungnahme der Unterhändler für eine Regierungskoalition.
Die Wirklichkeit außerhalb der Koalitionsverhandlungen hält Fülberth für „noch interessanter“. Sie ist es, weil sie sehr beunruhigend und  hoch problematisch ist, keineswegs nur wegen der schlachtreifen Hasen, die der AfD nach Fülberth in die Küche geliefert werden.
Das kollektive, laut dröhnende Beschweigen der Weltmachtpolitik der BRD und die auch militärisch gestützte Frontstellung gegen Russland sind friedensbedrohend.
Die Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen wurden umfassend dokumentiert, analysiert, und bewertet; einzelne Detailfragen, die normalerweise Gegenstände des Regierungshandelns und der Gesetzgebung sind, wurden eingehend behandelt und öffentlich diskutiert.
Aber die wesentlichen Fragen zur Außenpolitik und zur militärischen „Sicherheitsarchitektur“ wurden nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet; auch nicht von den Linken und der Linken. Das ist wirklich interessant und wirklich beängstigend.

06.07.2017

Ein nicht gedruckter Leserbrief

 

Den nachfolgende Leserbrief habe ich am 11.6 der Leserbriefredaktion der jungen Welt mit der Bitte um Veröffentlichung zugesandt.

Am 27.6. schrieb man mir, eine Veröffentlichung sei aus Platzgründen nicht möglich.

Viele Analysen von Linken, auch in der jw und der uz, der Zeitschrift der DKP, nehmen die Auseinandersetzungen innerhalb der Klasse der Kapitaleigner einfach nicht zur Kenntnis.

Der Leserbrief will darauf aufmerksam machen, dass es notwendig ist, die aufbrechenden Widersprüche innerhalb und zwischen den Klassen zu analysieren, um die eigenen Handlungsmöglichkeiten auszuloten.

Klaus Dörre sieht “das Befreiende an Trump” darin, dass die “neoliberale Sachzwanglogik der Globalisierung da mit einem Tweet durchbrochen wird.”

(zitiert nach Günter Platzdasch, Rechte Leute von links. Die AfD hat ihr Potential noch längst nicht ausgeschöpft. Eine Tagung in Jena liefert bedenkliche Neuigkeiten über die Stimmungslage der arbeitenden Klasse in Deutschland, FAZ vom 28. Juni 2017,S. N3).

Damit hat Trump sich die neoliberalen Kräfte in der ganzen Welt zu Gegnern gemacht, die von ihm einen grundlegenden Politikwandel der USA befürchten.

Trump hat sich gegen einen Freihandel ausgesprochen, der, sich selbst regulierend, vor dem Zugriff der souveränen Einzelstaaten geschützt wird, Beispiel: TTIP; er signalisierte den Abschied von Interventionskriegen gegen souveräne Staaten, wie sie von den Vorgängerregierungen angezettelt worden waren, Beispiel: Libyen; er wollte das Verhältnis zu Russland normalisieren, Beispiel: gemeinsamer Kampf gegen den IS.

Ob und in welchem Maße er den Willen und die Kraft hat, diese Ziele zu erreichen, muss sich noch erweisen. Viele seiner Handlungen als Präsident lassen daran erhebliche Zweifel aufkommen,

Fest steht jedenfalls, dass seine Gegner Trump ernst nehmen, wie das groß inszenierte Trump-Bashing zeigt.

Es gibt für Linke sehr viele, sehr gute Gründe gegen Auslassungen, Erlasse und Tweets des neu gewählten Präsidenten der USA zu protestieren und zu mobilisieren, aber nicht einen guten Grund zu wünschen und zu hoffen, dass seine Gegner wegen angeblicher oder wirklichen Russlandkontakte oder aus anderen Gründen die demokratische Wahl, die ihn zum Präsidenten gemacht hat, nachträglich annulieren.

B. Sanders würde ganz gewiss nicht an seine Stelle treten, sondern H. Clinton oder eine ähnliche Marionette, deren Draht in den Händen der am meisten neoliberalen, am meisten imperialistischen, am meisten gewaltbereiten Kräfte des monopolisierten Finanzkapitals liegt.

 

Ein von der jungen Welt nicht gedruckter Leserbrief

Jürgen Lloyd hat in der jw vom 15.Mai 2017 Kurt Gossweilers gedacht, wie es diesem marxistischen Wissenschaftler gebührt: nicht platt affirmativ und lobhudelnd, sondern durch eine exakte, objektive, sehr konzentrierte Analyse der wissenschaftlichen Methode Gossweilers, seiner Erkenntnisziele und seiner politischen Arbeit für eine Gesellschaft, die offen und ohne Umwege ihre Produktionsmittel in Besitz nimmt.

In seinen Faschismusanalysen, insbesondere in seinen Studien zum sogen Röhmputsch hat sich Gossweiler sehr eingehend mit den verschiedenen Monopolgruppen, ihrer Zusammensetzung und ihren politischen Zielen befasst.

Der gesamten Arbeiterklasse steht zwar die gesamte Kapitalistenklasse gegenüber, aber im konkreten Kampf, vor allem im Kampf gegen den Faschismus und bei der Erarbeitung von Bündnisstrategien kommt es entscheidend darauf an, die Kräfteverhältnisse innerhalb der Kapitalklasse zu erkennen, um vorhandene Widersprüche nutzen zu können.

Deshalb sind die Arbeiten von Gossweiler aktuell von Bedeutung.

Die Verhältnisse in den Klassen und zwischen den Klassen sind in Bewegung geraten. In den USA ist das sehr klar zu sehen. Das monopolisierte Finanzkapital, das Geld und Schulden produziert und das neue Kapital, das Informationen und Algorithmen produziert sieht sich bedrängt vom klassische Kapital und deren Arbeitnehmerschaft, das Waren mit konkreten Gebrauchswerten produziert.

Der Kampf zwischen diesen Kapitalgruppen wird vom Finanzkapital, ihren Medien und großen Teilen der Geheimdienste und der Bürokratie mit großer Härte und beträchtlicher Infamie geführt mit dem Ziel, den gewählten Präsidenten zu schwächen und wenn irgend möglich aus dem Amt zu jagen.

Der alte Feind Russland wird von diesen Gruppen innerhalb und außerhalb der USA wieder ins Fadenkreuz genommen und jeder wird niedergemacht, der auch nur verdächtigt wird, dem Imperialismus der Monopole im Wege stehen zu können.

Gossweiler hat stets hervorgehoben, die Wahrheit sei in den Tatsachen zu suchen. Viele Linke und andere kritische Geister können, wenn es um Trump geht, die Wahrheit gar nicht erst suchen, weil sie nicht bereit sind, offenkundige Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen. So kann, um nur ein Beispiel zu nennen, Guenther Sandleben zwei Themenseiten der jw zum Thema „Nationale Bourgeoisie“ füllen, ohne auf den gegenwärtig tobenden Kampf der nationalen Kapitalgruppen in den USA mit einem Wort einzugehen.

Da hilft nur noch: Gossweiler lesen!


09.03.2017

Gegen Kriegsgefahren: Das Prinzip der kollektiven und gleichen Sicherheit

 

Von der freien Entwicklung der Menschen und der Staaten.

 

Im Manifest der Kommunistischen Partei beschreiben Marx und Engels in klassischer Formulierung den Zustand der Gesellschaft, der sich herausbilden werde, wenn die kapitalistischen Produktions- und Aneignungsverhältnisse aufgehoben worden sind.

Sie schreiben: „An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“

Was für die freie Entwicklung des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft gilt, gilt auch für die freie Entwicklung der Völker und ihrer Staaten.

Grundvoraussetzung für die Selbstbestimmung und die Entwicklung der Völker ist die Befreiung von der Furcht, physisch vernichtet zu werden.

In allen Staaten werden jedoch mit immensem Aufwand die Waffensysteme ausgebaut und vergrößert.

Notwendig ist also eine Assoziation der Völker und Staaten, worin die Sicherheit eines Jeden die Bedingung der Sicherheit Aller ist. Nur ein System kollektiver Sicherheit kann die Sicherheit jedes einzelnen Staates gewährleisten.

Im Gegensatz dazu entsteht aus der Spezifik kapitalistischer Produktionsverhältnisse die Vorstellung, dass Freiheit und Gleichheit der Mitglieder einer Gesellschaft einander entgegengesetzt sind. Die Freiheit des einen wird durch die Freiheit des anderen beschränkt

Nach dieser Vorstellung wird die Souveränität des eigenen Staates und seine Sicherheit am besten auf Kosten der Souveränität und Sicherheit der anderen Staaten garantiert.


Die Lehren der Weltkriege


Die bitteren Erfahrungen der beiden Weltkriege hatten jedoch in der ganzen Welt das Bewusstsein dafür verstärkt, dass es notwendig sei, Systeme kollektiver Sicherheit zu gründen.

Nach dem zweiten Weltkrieg war den Beteiligten der Anti-Hitler Koalition klar, dass der gemeinsame Kampf gegen den Faschismus seine Fortsetzung finden müsse in der gemeinsamen Aufrichtung und Bewahrung einer Ordnung in Europa und vor allem in Deutschland, die ein Wiederentstehen aggressiver und faschistischer Bestrebungen verhindern werde. Dies war der wesentliche Sinn der Abmachungen von Jalta und Potsdam.

Diesem Ziel diente auch die Gründung der Vereinten Nationen mit ihrem generellen Gewalt- und Agressionsverbot.

Wenn heute vielfach die Behauptung aufgestellt wird, die Spaltung Deutschlands und die Bildung von Militärblöcken sei das Ergebnis der Vertragswerke von Jalta und Potsdam, so handelt es sich um eine offensichtliche Fehldeutung der historischen Tatsachen.

Denn es ist bekannt, dass diese Spaltung und Blockbildung im Rahmen des kalten Krieges von den USA gegen den Willen der UdSSR, die an den Zielen der Anti-Hitler Koalition festhalten wollte, durchgesetzt wurde. Die Blockbildung gegen die UdSSR wurde mit der Bildung der NATO militärisch zementiert.


Die Nato ein System kollektiver Sicherheit ?


Ihrem eigenen Selbstverständnis nach ist die NATO ein kollektives Sicherheitssystem. Es ist jedoch ein kollektives Verteidigungsbündnis, das keine gleiche Sicherheit für den eventuellen Gegner beinhaltet.

Überwiegend wird deshalb auch in der Staats-und Völkerrechtslehre - leider aber nicht von dem Bundesverfassungsgericht - angenommen, ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit und militärische Blöcke und Beistandspakte widersprächen sich grundsätzlich.

Kollektive Sicherheit ist etwas wesentlich anderes als die gemeinsame Verbündung gegen einen gemeinsamen Feind. Gegenseitigkeit bedeutet vor allem, dass jeder Staat gleichzeitig Garant und geschütztes Objekt des Systems ist. Die Sicherung des Friedens soll dadurch geschehen, dass der potentielle Angreifer jeweils in das System kollektiver Sicherheit mit eingeschlossen ist.

Im Gegensatz zur militärischen Allianz soll jeder, auch ein potentieller Friedensstörer und Angreifer gerade dadurch, dass er in das System kollektiver Sicherheit eingebunden ist und dessen Mitteln und Verfahren sich unterworfen hat, zum Verzicht auf militärische Gewalt veranlasst werden.


Das Grundgesetz und die kollektive Sicherheit


W. Grewe, Völkerrechtler und einflussreicher Berater Konrad Adenauers hat schon früh im Zusammenhang mit der Wiederaufrüstung behauptet, die NATO stelle ein Bündnis kollektiver Sicherheit gemäß Art. 24. Abs. 2 GG dar. In diesem Artikel heißt es: „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen.“ Und gemäß Art.26 GG sind Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, verfassungswidrig. Hier zeigt sich, dass bei Erlass des Grundgesetzes noch die Erfahrungen aus der faschistischen Herrschaft und aus dem zweiten Weltkrieg lebendig waren.

Keinesfalls konnte damals gedacht und gewiss nicht normiert werden, dass sich die Bundesrepublik Deutschland mit eigenen Streitkräften einem gegen die sozialistischen Staaten gerichteten Militärbündnis anschließen könnte. Gänzlich abwegig wäre es damals gewesen und ist es auch heute, ein solches Militärbündnis als ein System kollektiver Sicherheit im Sinne des Völkerrechts und des Grundgesetzes zu deklarieren.


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Der vorstehende kleine, überarbeitete Beitrag soll dazu anregen, sich der wichtigen friedenspolitischen Aufgabe anzunehmen: Was kann getan werden, um die militärischen Blöcke in ein System kollektiver Sicherheit einzubetten?

Der Beitrag ist 1983 als Kolloquiumbeitrag erschienen in: Norman Paech, Gerhard Stuby, Juristen gegen Kriegsgefahr in Europa. Protokoll einer internationalen Konferenz, Köln 1983.

Die Beiträge dieser Tagung sind leider sehr aktuell.

Damals war das Hauptproblem die „Nachrüstung“ in Deutschland mit atomar bestückten Raketen der USA. Sie wurden von der Regierung Schmidt für notwendig erachtet, denn durch die UdSSR werde der Frieden in Europa bedroht.

Heute wird von der BRD und der EU Russland wieder als gefährlicher Aggressor behandelt und es wird diskutiert, ob die Bundeswehr nicht atomar bewaffnet werden müsse, was vom Vorsitzenden der polnischen Regierungspartei gefordert wird.

Durch den Wahlsieg Trumps hat sich die Lage plötzlich und gravierend verändert. Die gemeinsame Front gegen Russland ist nunmehr nicht mehr gesichert.

Trump will – und muss durch die Verhältnisse gezwungen – die Weltmachtpolitik seiner Vorgänger modifizieren und zum Teil aufgeben.

In der Außenpolitik soll die desaströse, erfolglose Politik der inszenierten farbigen Revolutionen und der militärischen Interventionen aufgegeben werden.

Für die NATO hat diese Neuorientierung beträchtliche Folgen.

Selbstverständlich steht eine Auflösung der NATO und der Austritt der USA aus ihr überhaupt nicht zur Debatte.

Aber Trump fordert, dass, wie vereinbart, jedes NATO Mitglied 2% seines Bruttoinlandsprodukts für Militärausgaben verwendet.

Da stößt er bei der Bundesregierung auf weit geöffnete Ohren. Deutschland müsse mehr Verantwortung übernehmen, so wird allgemein gefordert und gemeint ist natürlich: militärische. Siehe dazu meinen Beitrag „Trump hat gesiegt – nun will Deutschland siegen“ vom 22.11.2016 auf dem Blog meiner Homepage www.roemer-peter.de.

Es wäre aber ein schwerer Fehler zu meinen, Trump gehe es lediglich um eine neue Lastenverteilung. Vielmehr soll Europa seine eigene Verteidigung organisieren und kann sich nicht länger unter dem Schutz der USA sicher fühlen.

So sieht es auch die Bundesregierung.

Jetzt nutzt die BRD die Chance, zu den führenden Weltmächten aufzusteigen. Das ist das schon lange und beharrlich verfolgte Ziel, dem man schon beträchtlich nahegekommen ist.

Offen wurde es zuletzt mit der Forderung vertreten, mehr „Verantwortung“ zu übernehmen. Gemeint ist in erster Linie militärisches Eingreifen in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten.

Das Ende der Nachkriegszeit ist nun endgültig erreicht und Deutschland kann zusammen mit den „Willigen“ auf dem Weg zur Weltmacht tatkräftig voranschreiten.

Europäische militärische Strukturen werden beschleunigt aufgebaut; die Mittel für die Bundeswehr kräftig erhöht und ihre Einsatzfähigkeit weltweit auf dem Boden, in der Luft, auf und unter dem Wasser und auch im Straßen-und Häuserkampf gesteigert..

Da muss aber an der Heimatfront Ruhe herrschen, damit nicht die Friedensfreunde und Globalisierungsgegner dem Staat in den Rücken fallen.

Mit geiferndem Hass, tiefer Verachtung und herablassender Überheblichkeit wird ein Entrüstungssturm gegen Trump, der mit Nero verglichen und als Irrer bezeichnet wird, von den mächtigen Maschinerien der öffentlichen Meinung und der Politik angeblasen.

Das hat auch den Zweck, die Kräfte, die der eigenen Politik opponieren könnten, zum Schweigen zu bringen und ihre Zustimmung zu erlangen.

Leider kann man nicht sagen, dass diese Taktik keine Erfolge erzielt. Lichtblicke gibt es auch, erfreulicherweise; aber die Hoffnung ist gering, dass sie auch für alle Erleuchtung bringen. Arnold Schölzel ist einer, der immer wieder bemüht ist, das Dunkel etwas zu erhellen, s. z.B. ders., Neue Großmachttöne aus Berlin, Mehr Eingreifen wagen, junge welt v. 28/29 Februar 2017: “Die Kräfteverhältnisse werden neu justiert. Mit der üblen Perspektive: Der deutsche Imperialismus wird wieder ganz vorn dabei sein.“

Um dies zu verhindern, müsste ein System kollektiver Sicherheit, in das Russland eingebunden ist, geschaffen werden. Das empfahl 1982 auch die internationale Kommission für Abrüstung und Gemeinsame Sicherheit, (Palme Kommission) der 19 Politiker aus Ost und West angehörten, der UNO Sondervollversammlung: „In der heutigen Zeit kann Sicherheit nicht einseitig erlangt werden. Wir leben in einer Welt, deren ökonomische, politische, kulturelle und vor allem militärische Strukturen in zunehmendem Maße voneinander abhängig sind. Die Sicherheit der eigenen Nation lässt sich nicht auf Kosten anderer Nationen erkaufen.“ (zitiert nach Dieter Deiseroth, Fundamentale Differenz. Ist die NATO ein Verteidigungsbündnis oder ein "System gegenseitiger kollektiver Sicherheit"? www.ag-friedensfoschung.de/themen/NATO/deiseroth2.html .

Die „heutige Zeit“ des Berichts von 1982 ist auch die Zeit des Jahres 2017.


22.11.2016

Trump hat gesiegt – nun will Deutschland siegen

 

Den Sieg von Donald Trump erhoffte in der Bundesrepublik kaum einer.

Nur sehr wenige erwarteten ihn.

Man setzte in der Regierung, den politischen Parteien, den Medien, der Wirtschaft auf Hillary Clinton.

Kritik an Frau Clinton gab es durchaus, besonders bei den Linken. Aber auch diese sahen in ihrer großen Mehrzahl in ihr das kleinere Übel.

Sie war es nicht, wenn man im Frieden ein wichtiges, unbedingt und vorrangig anzustrebendes Ziel sieht.

H. Clinton ist eine der Hauptverantwortlichen für die im Irak, in Libyen und Syrien und dem Jemen Gefolterten und Ermordeten und für die Verwandlung dieser Staaten in grauenerregende Bürgerkriegsschlachtfelder.

Den Foltertod Gaddafis bejubelte sie; er war nicht der einzige, dessen Tod sie beklatschte.

Als Präsidentin wäre sie eine Gefahr für den Weltfrieden gewesen. Sie war z. B. bereit, in Syrien eine Flugverbotszone zu verhängen und somit eine direkte Konfrontation mit der Atommacht Russland zu inszenieren.

Die wirklichen und die vermeintlichen Fehler und Schwächen von Trump wurden und werden in der deutschen Öffentlichkeit vielfach und eingehend behandelt.

Sie sind nicht Gegenstand dieser Zeilen.

Kriegstreiberei und Verherrlichung von Kriegsverbrechen sind ihm jedenfalls nicht vorzuhalten.


Seit langem schon, aber in den letzten Jahren mit zunehmendem Nachdruck, wird gefordert, Deutschland müsse Verantwortung und immer mehr Verantwortung übernehmen und sich auf den Ernstfall vorbereiten.

Bei den Soldaten muss die Bereitschaft zu töten und getötet zu werden gestärkt werden. Die Sirenen werden wieder ausprobiert, in Kassel z.B. zum ersten Mal seit fünfzehn Jahren und der Bevölkerung wird die Bevorratung mit den lebensnotwendigen Gütern empfohlen.

Die Verantwortung, die zu übernehmen ist und auf deren Übernahme durch eine Fülle von konkreten Maßnahmen, vor allem einer beträchtlichen Erhöhung der Militärausgaben und militärischen Interventionen, sowie durch die mentale Einstimmung der Zivilbevölkerung vorbereitet wird, ist: Die militärische Intervention, der Krieg.

Das Feindbild hat man auch, in starken Farben gemalt und vielmillionenfach unters Volk gebracht. Die russische Föderation: Sie ist die kriegsbereite, angriffslüsterne Macht.

Deutschland muss nicht nur in Afghanistan sondern auch gegen Russland verteidigt werden.

Das ist das Ziel und darüber ist man sich in der BRD und der EU und mit der NATO sowie den großen Staaten in Europa einig.

Und vor allem war man es mit den USA unter Obama und der Außenministerin Clinton.

Deshalb vor allem wollte und erhoffte man den Wahlsieg Clintons.


Als sich dann herausstellte, dass die Hoffnungen getrogen und die Erwartungen sich nicht erfüllt hatten, wäre das normale politische Vorgehen gewesen, dass die deutschen Politiker und die meinungsbildenden Medien sich schnell und deutlich erkennbar auf die neuen Machtverhältnisse in den USA eingestellt hätten, nicht zuletzt um die künftige Politik der Regierung zu beeinflussen.

Eine Anpassung an die nun einmal gegebene und durch demokratische Wahlen geschaffene neue Situation geschah in den USA sofort.

Trump und Clinton, aber auch Trump und Obama versicherten nun, gemeinsam für das Wohl des amerikanischen Volkes arbeiten zu wollen.

Auch zwischen Trump und seinen innerparteilichen Gegnern wurden sogleich die Friedenshände gedrückt.

Ganz anders in der BRD und in der EU. Nicht der kleinste Schritt wurde auf Trump zugegangen. Die Kanzlerin sah sich lediglich veranlasst, überheblich und herablassend Trump öffentlich über Grundrechte zu informieren und ihre Einhaltung anzumahnen.

Außenminister Steinmeier, der Trump als Hassredner verunglimpft hatte, gratulierte dem neuen Präsidenten der USA nicht.

Ein kluger Schachzug; damit hatte er bewiesen, dass er weiterhin standhaft zur Clintonschen Kriegspartei hielt und so die Zustimmung der CDU und der CSU zur seiner Wahl als Bundespräsident erringen konnte.

Insofern ein würdiger Nachfolger von Gauck, der nie versäumte, seine Verantwortungslitanei von Kanzeln und Podien zu verkünden.

Von einigen, die eher etwas versöhnlicher gestimmt sind, wird der Hoffnung Ausdruck gegeben, Trump werde sich schon noch als vernünftig und lernfähig erweisen; man solle doch erstmal ein wenig abwarten, ehe man endgültig den Stab über ihn breche.

Auch von den Transatlantikern, die sonst nicht müde werden, die große Bedeutung guter Beziehungen zu den USA hervorzuheben, ertönt lautes Schweigen.


Dies Verhalten von Politik, Meinungsmachern und großer Teile der Wissenschaft ist in hohem Maße erklärungsbedürftig.

Ein Bruch mit den USA wird festgestellt, zum Teil herbeigeredet und dadurch erste geschaffen oder vertieft.

Niemand bemüht sich, den Bruch zu kitten. Zeitenwende wird diagnostiziert und akzeptiert.

Worin wird denn der Bruch gesehen?

Die Forderung Trumps, die Europäer sollten mehr für ihre eigene Sicherheit tun, kann schwerlich von denen beanstandet werden, die schon lange vor der Wahl Trumps in der NATO und den einzelnen NATO Staaten verstärkte militärische Anstrengungen gefordert und durchgesetzt haben.

Es wäre sicher sehr nötig, der neuen Regierung in Sachen Minderheitenpolitik ein deutliches Wort zu sagen und darauf hinzuarbeiten, dass die soziale miserable Lage in den USA für alle Abgehängten verbessert wird und die Rechte derer, die H. Clinton im „Korb der Erbärmlichen“ verortet und verachtet hat, gestärkt werden.

Aber die sozialen, ethnischen und anderen Probleme in den USA bestehen seit langem. Sie haben die Freunde der USA bisher nicht gestört.

Unter Obama sind diese Probleme nicht geringer geworden. Seine Gesundheitsreform ist in die Hände der großen Gesundheitskonzerne gefallen; die Gefängnisse sind durch seine Politik gefüllt worden, vor allem mit Schwarzen und werden von der Gefängnisindustrie betrieben, profitabel und ausbeuterisch. Die Militärausgaben sind auf ein Allzeithoch getrieben worden.

Während seiner Regierung sind die Armen ärmer und die Reichen reicher geworden.

Und Guantanamo besteht allen Versprechungen Obamas zuwider auch immer noch.

Dennoch wurde das feste Bündnis mit den USA von keiner Bundesregierung je in Frage gestellt, schon gar nicht von der jetzigen.

Nie wäre die Bundeskanzlerin auch nur auf die Idee gekommen, Obama auf die Geltung von Grundrechten hinzuweisen, so dringend nötig dies auch gewesen wäre, z.B. wenn auf seine persönliche Weisung Killerdrohnen losgeschickt werden, die auch schon mal eine Hochzeitsgesellschaft trafen: 100 Tote.

Gegenüber Trump erlaubt sie es sich.


Es gibt Grund zu der Annahme, dass die Wahl Trumps zum Präsidenten der USA Merkel und den Ihren keineswegs nur unlieb war, wenn auch H. Clinton die Wunschkandidatin war.


Endlich kann die Nachkriegszeit endgültig abgeschlossen werden.


Ganz ungehindert und frei kann man wieder nach der Weltmacht greifen. Durch den Brexit sind von England keine Störmanöver zu befürchten und von den USA braucht man sich zumindest die nächsten vier Jahre lang keine Vorschriften gefallen zu lassen. Die NATO soll nicht mehr von den USA dominiert werden. Der Aufbau einer europäischen Armee kommt nun endlich in Gang.

Die Regierung Merkel und die Ministerin, die immer noch Verteidigungsministerin genannt wird, haben beherzt und unverzüglich den Zipfel des Mantels der Geschichte ergriffen, um Deutschland, dem nun niemand mehr etwas zu sagen hat und schon gar nicht ein Mister Trump, seinen Platz unter den Weltmächten zu erobern.

In Europa dominiert wirtschaftlich und militärisch Deutschland.

Aber es will mehr. Die Parole ist: Wir schaffen das. Haben es zuletzt ja auch in der Vergangenheit beinah schon geschafft – wenn nur die Russen nicht gewesen wären.

Jetzt soll es heißen: Die Deutschen oben, die USA draußen und die Russen unten.


Wer den Zipfel des Mantels ergreift, kann sich aber damit noch nicht sofort den schwarz - rot - goldenen Mantel der Macht umhängen.

Noch weiß niemand genau, was die neue Regierung der USA für eine konkrete Politik betreiben wird. Noch kann niemand voraussagen, wie sich die politische, militärische, wirtschaftliche Lage in der Welt und Europa entwickeln wird. Vielleicht dämmert auch der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland, dass sie mit Merkel, Steinmeier und von der Leyen, mit Röttgen und Oppermann et tutti quanti keine Friedenslämmchen vor sich hat, sondern dass da Kriegsrösser mit den Hufen scharren.

Aber wie Merkel schon öfters eingeschätzt hat: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. Ganz ohne Kompromisse, Zugeständnisse, Neueinschätzungen und Anpassung an neue Lagen wird es selbstverständlich nicht abgehen.

Auch Feindbilder, siehe Russland, können übermalt werden oder in eine Abstellkammer verfrachtet werden, aus der sie dann bei passender Gelegenheit wieder hervorgeholt werden können.


Die Friedenskräfte haben durchaus die Chance, in dieses vielgestaltige, in sich oft keineswegs widerspruchsfreie politische Machtgetümmel einzugreifen, wenn der Wille zum Frieden sich mit der realistischen Analyse der Macht- und Klassenverhältnisse verbindet und sich nicht von neoliberalen Freihandelskämpfern (die alles andere sind als Freiheitskämpfer) oder selbstgerechten Vertreterinnen und Vertretern von Sonderinteressen die Feinde benennen lässt, die vor allem zu bekämpfen seien.

Der Frieden muss das vorrangige Ziel sein, denn im Krieg leiden zuerst und am meisten die Armen, die Frauen, die Kinder, diejenigen, die einer ethnischen oder religiösen Minderheit angehören oder in ihren Sitten und Gebräuchen und ihrem sexuellen Verhalten abweichen von der Mehrheit.


Mit ihrer Losung „Europa steh auf“ finden die Deutschen viel Beifall.

Der österreichische Wirtschaftsminister (ÖVP) meint: “Wir haben uns zu wenig auf unsere eigenen Stärken besonnen und zu wenig Verantwortung übernommen. Das muss sich nach Trumps Wahlsieg ändern. Dem Slogan ‚America First‘ ließe sich sehr wohl ein ‚Europa First‘ entgegensetzen“; schließlich sei die Einwohnerschaft und die Wirtschaftskraft Europas größer als die der USA.

Er findet den Brexit durchaus gut: „Das Vereinigte Königreich war immer eine Bastion Amerikas in Europa, sein Sprachrohr in der Außen-, Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das fällt künftig weg und könnte deshalb die Einheit, Selbständigkeit und Stärke Europas erhöhen.“ (Alle Zitate nach FAZ vom 15. November)

Auch die Außenbeauftragte der EU mahnt eine stärkere Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik an und spricht von einer „Supermacht Europa“.

Die osteuropäischen Staaten lassen es an Hass und Feindseligkeiten gegen Russland und Putin wahrlich nicht fehlen.

Da ist es sehr bemerkenswert, dass diese Länder, die überlaut und bei jeder Gelegenheit verkünden, sie müssten vor Russland geschützt werden, als erste Trump gratulierten und erklärten, sie sähen sich durch die USA auch in Zukunft ausreichend geschützt . Dabei hatte doch Trump zuerst mit Präsident Putin und nicht mit Kanzlerin Merkel telefoniert und ein mit Russland abgestimmtes Handeln angekündigt.

Man wird, besonders in Polen, sich des Deutschlands erinnern, das in ihrem Land gewütet hat und sich dezidiert weigerte, mit Polen einen Friedensvertrag abzuschließen.

An dessen Stelle wurde der 2+4 Vertrag abgeschlossen, in dem u.a. das deutsch-polnische Verhältnis normiert worden ist.

Vertragspartner aber sind neben den damals noch existierenden zwei deutschen Staaten auch die USA und Russland.

Beruhigend, dass Krieg und Nachkriegszeit so gänzlich vergangen dann doch nicht sind, wie die deutsche Bundesregierung annimmt.

 

08.06.2016

Der Rechtsstaatskarren der EU versinkt im politischen Sumpf


Nach ihrem Wahlsieg und nach der Bildung der neuen Regierung hat die PiS sofort und zielgerichtet begonnen, ihre Wahlversprechungen zu erfüllen. Außenpolitisch wird die Politik der Stärkung der NATO, der Aufrüstung und der militärischen Einkreisung Russlands forciert, der Antisozialismus und Antikommunismus wird nochmals verstärkt, das nationale Erbe wird gepflegt und gefeiert, die grundsätzliche Übereinstimmung mit EU und NATO wird hervorgehoben. Sogar der Kollaboration mit den deutschen Faschisten wird ehrend gedacht Auch die katholische Klientel wird bedient: striktes Verbot der Abtreibung, die Frau als Hausfrau und Mutter ist Vor- und Leitbild.

So weit, so reaktionär und deshalb auch keine grundsätzlichen Bedenken seitens der EU.

Anders bei der Sozialpolitik. Im Mai wurde eine große Kundgebung gegen die Regierung organisiert mit mehreren hunderttausend Teilnehmern in einem Meer von Fahnen und großflächigen Winkelementen, die offensichtlich nicht in mühsamer häuslicher Arbeit hergestellt worden waren.

Wie so oft wurde von den Engagierten, die ihre Interessen bedroht sehen, und von denen, die von Kapitalgebern engagiert wurden, versucht, die aufgrund freier Wahlen gewählte Regierung unter Druck zu setzen und Stimmung für ihre Ersetzung zu erzeugen.

Da käme dann ein Rechtsstaatsverfahren der EU gerade recht.

Nicht nur die politischen und wirtschaftlichen Gegner setzen die Regierung unter Druck. Die von der Vorgängerregierung geschaffene Realität, insbesondere die finanziellen Verhältnisse und die Haushaltslage machen es der Regierung schwer, ihre sozialpolitischen Ziele zu verwirklichen. Umso entschlossener war die Regierung, an der Rechtsfront nicht nachzugeben im Kampf für das von der Parlamentsmehrheit beschlossene Gesetz, die Besetzung und das Verfahren des Verfassungsgerichts betreffend,.

Das Verfassungsgericht stellte in einem Urteil in eigener Sache fest, das Gesetz sei verfassungswidrig und nichtig; die Regierung weigerte sich das Urteil zu veröffentlichen, so dass es keine Geltungskraft erhalten kann.

Ein prächtiger Verfassungskonflikt und als solcher auch eine politische Machtauseinandersetzung. Ein klassischer innerstaatlicher Konflikt, ganz offensichtlich. Allerdings sah – und sieht? – die EU das nicht so. Man sah nicht nur durch einen Gesetzgebungs- sondern sogar durch einen Exekutivakt die Rechtsstaatlichkeit des polnischen Staates vernichtet und hielt sich deshalb für ermächtigt, die Nichtveröffentlichung des Urteils zu beanstanden. Es kam zu sehr heftigen Wortgefechten zwischen EU - Beamten und den Vertretern des polnischen Volkes.

Die EU konnte sich nicht durchsetzen. Das Urteil bleibt unveröffentlicht.

In der EU hatte man wohl gehofft, mit der Anerkennung des Urteils des Verfassungsgerichts und damit der Nichtigkeit des Gesetzes über das Verfassungsgericht, das ganze Rechtsstaatsverfahren beerdigen zu können.

Das war offensichtlich lästig geworden. Zwar wurde noch kurz vor der Intervention wegen der Nichtveröffentlichung des Urteils des Verfassungsgerichts das Rechtsstaatsverfahren formell in Kraft gesetzt. Aber wie bereits mit der früheren Drohung mit dem Rechtsstaatsverfahren sollte damit die Unterwerfung Polens unter das Diktat der EU erzwungen werden. Man hatte und hat die wohl nicht unbegründete Hoffnung, das Gericht werde der Regierung und dem Parlament die neoliberalen Schranken aufzeigen. Im Kern geht es um die Verhinderung der Neuausrichtung der Sozialpolitik in Polen.

Durch das Rechtsstaatsverfahren selbst können staatliche Gesetze und Exekutivakte weder aufgehoben noch abgeändert werden. Erfolgreich durchgeführt, kann nur eine Sanktion verhängt werden: Entziehung des Stimmrecht in der EU.

Zur rechtlichen Bewertung der neuen verfassungsgerichtlichen Normen wurde bereits die Venedigkommission des Europarates tätig, ein Gremium von Verfassungsrechtlern aus Europa, aber auch aus den USA, das den Staaten des Ostens „beratend zur Seite gestellt“ wird. Es ist sehr bemerkenswert, dass der Inhalt des Gutachtens der Kommission bisher nicht veröffentlicht worden ist.

Die Rabauken Martin Schulz, SPD („Staatstreichcharakter“), Günther Oettinger, CDU („unter Aufsicht zu stellen“) Alexander Ulrich, Die Linke („direkter Angriff auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, der in Europa nicht hingenommen werden darf“), die mit der Rechtsstaatskeule lautstark zum Angriff auf die PiS und ihre Regierung getrommelt haben, sind verstummt.

Sie hätten doch allen Grund, die Veröffentlichung des Gutachtens zu fordern. Ihnen ist offenbar klargeworden bzw. es ist ihnen klargemacht worden, dass sie besser daran täten, still zu halten.

Auch wenn das Gutachten im Wesentlichen wunschgemäß ausgefallen sein sollte, wäre doch gegenwärtig der Zeitpunkt für seine Veröffentlichung kontraproduktiv. Von rechts und von links weht der EU ein ziemlich kräftiger Wind ins Gesicht und man ist der permanenten Einmischung der EU in die inneren Angelegenheiten der Einzelstaaten gründlich leid.

Die Brexitdebatte in Großbritannien würde durch ein öffentliches Rechtsstaatsverfahren wohl kaum im Sinne der Brexitgegner gefördert werden. Und wer mag noch Schulz sehen und hören, wenn er alles und jedes kommentiert als wäre er nicht nur Parlamentspräsident, sondern auch EU Präsident und Präsident aller anderen EU Gremien.

Es wäre sehr zu wünschen, dass das Gutachten bald veröffentlicht wird, denn es ist von grundsätzlicher Bedeutung nicht nur für Polen, ob die Venedigkommission der Ansicht ist, die Verfassungsgerichtsbarkeit gehöre zum Kernbereich der Rechtsstaatlichkeit.

Dann wäre z. B. die Weimarer Republik kein Rechtsstaat gewesen. Der Staatsgerichtshof war kein Verfassungsgericht mit der Befugnis, ordnungsgemäß erlassene Gesetze für nichtig zu erklären. Der frühere Verfassungsrichter Dieter Grimm weist ferner zutreffend darauf hin, es gäbe auch EU Staaten ohne Verfassungsgerichtsbarkeit. Großbritannien z.B. kennt kein Verfassungsgericht; nach dortigem Demokratieverständnis liegt die gesetzgebende, die gesetzesändernde und die gesetzesaufhebende Gewalt ausschließlich in den Händen der Legislative.

Es ist wohl so, dass man das Rechtsstaatsverfahren nicht mehr als geeignetes Mittel ansieht, in Polen eine Gesetzesänderung zu erzwingen. Also ist wieder politisches Handeln angesagt. Durch gegenseitige Drohungen und Beschimpfungen ist nicht nur der Boden des Rechts brüchig geworden, auch das politische Gelände wurde stark versumpft. Man hat den Karren des Rechts in den politischen Sumpf gefahren und muss nun versuchen, festen Boden unter die Füße zu bekommen, um ihn dort wieder herauszuholen.

Dieser feste Boden ist die Souveränität und Gleichheit der Staaten; ihn gilt es zu betreten und zu festigen.

Für die Linken – ob nun innerhalb oder außerhalb der gleichnamigen Partei – sollte das Rechtsstaatsverfahren Anlass sein, eingehender zu diskutieren, ob und wie sie sich in solchen rechtlichen und politischen Auseinandersetzungen positionieren will.

Es ist selbstverständlich, dass sie grundsätzlich die PiS und die von ihr gebildete Regierung, wie alle anderen rechten Regierungen entschieden ablehnt. Aber soll die entschiedene Ablehnung keine Ausnahmen für einzelne Programmpunkte kennen? Die neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die vor allem auch von der EU entschieden und mit Zwangsgewalt (siehe Griechenland) verfolgt wird, findet zunehmend Widerspruch und Ablehnung. Ihre undemokratische, asoziale, imperialistische, friedensgefährdende Ausrichtung wird erkannt und bekämpft. Zum Teil auch von rechten Parteien, die sich nur einzelne Kritikpunkte herausnehmen und damit auch Zustimmung bei denjenigen finden, die das Gesamtkonzept der rechten Parteien ablehnen.

Von der Partei „Die Linke“ z. B. ist ein nicht unbeachtlicher Teil zur AfD abgewandert. Man wird wohl kaum annehmen können, dass diese Wechsler eigentlich immer rassistisch und fremdenfeindlich waren und in jemandem wie Gauweiler schon immer ihr menschliches und politisches Vorbild sahen.

Es ist vielmehr die Schuld der linken Kräfte, dass sie die Wahrheit nicht in den Tatsachen suchen, also nicht in der Verelendung und Erniedrigung großer Teile der Bevölkerung, also nicht in den Klassenverhältnissen, von deren Analyse alle weiteren wissenschaftlichen Erkenntnisse und Handlungsziele abzuleiten sind.

Es ist z. B. nicht richtig, dass die PiS die Neuausrichtung der polnischen Sozialpolitik nur des Stimmenfangs wegen betrieb. Sie ist eine katholisch ausgerichtete Partei, die sich der katholischen Soziallehre verpflichtet weiß. Der Papst selbst findet neuerdings starke Worte der Verurteilung des gegenwärtigen Zustands des kapitalistischen Weltsystems. Zum Sozialisten wird er deshalb aber keineswegs und die schönsten christlichen Soziallehren führen keinen Schritt weiter zu einer Transformation des Kapitalismus hin zum Sozialismus.

Aber solche Erkenntnisse müssen nicht daran hindern, jede einzelne Aktion im politischen und gesellschaftlichen Kampf im Rahmen der Analyse der konkreten Klassenlage in Polen und anderswo vorzunehmen.

Es ist im Interesse der lohnabhängig Arbeitenden, die Einmischung der von Kapitalinteressen formierten EU in die Politik der Staaten innerhalb und außerhalb der EU abzuwehren.

Es ist im Interesse der lohnabhängig Arbeitenden, das demokratisch beschlossene Gesetz zu verteidigen und seine Geltung und Auslegung nicht einer Justiz und einer Juristenkaste zu überlassen, die eine von den Interessen der Herrschenden formierte Werteordnung an die Stelle der Rechtsordnung setzen wollen.

Es ist aber das Hauptinteresse der lohnabhängig Arbeitenden, alle einzelnen Aktionen, die den Lohnabhängigen nutzen und den Kapitaleigentümern schaden, immer zugleich den Stellenwert zuzuweisen, der ihnen im Gesamtzusammenhang der Forderung zukommt: Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln.

 

30.03.2016

Tua res agitur – oder: Es geht auch um deinen Kopf, um deinen Kragen


Die neue polnische Regierung wird in den Medien der BRD meist als „nationalkonservativ“ bezeichnet. Mit diesem Begriff werden die in meinem Beitrag vom 14.02.2016 auf diesem Blog aufgeführten Wesenseigenschaften dieser Regierung ausgeblendet. Sie ist, wie ich schrieb, streng katholisch und reaktionär und die PiS und Kaczynski sind glühende Antikommunisten, sind Russlandhasser, sind Putins Feinde und betreiben eifrig, zusammen mit der NATO, eine gegen Russland gerichtete militärische Aufrüstung und Abschreckung.

Die Mitgliedschaft in der NATO und in der EU ist für die neue Regierung von ebenso grundlegender Bedeutung wie sie es für die Vorgängerregierung war. Ob die neue Regierung eine Änderung der Wirtschaftspolitik innerhalb der EU anstrebt und für möglich hält, kann ich nicht beurteilen, dies Urteil steht den Polenspezialisten zu.

Das sozialpolitische Programm der Regierung aber ist klar und jedermann verständlich. Es enthält keine allgemeinen, blumigen Formulierungen zum Menschen, zu seiner Würde und zum „Menschenbild“, wie sie von den Politikern gern in ihren Reden vor Wahlen und an Sonntagen verkündet werden, sondern benennt sehr konkrete und überprüfbare Vorhaben: Erhöhung des Arbeitslohns, Sicherheit des Arbeitsplatzes, Einführung eines Kindergeldes, Senkung des Rentenalters.

Auch wird nicht generell auf eine Finanzierung nach Haushaltslage verwiesen. Finanziert werden sollen diese Vorhaben vor allem durch eine Bankensteuer von 0,44% der Bilanzsumme

Auf dieses sozialpolitische Programm hat die EU mit großer Härte aber auch mit beleidigenden Anwürfen reagiert: siehe die Sentenzen von Schulz und Oettinger. Diese politische Verteidigung der Tuskschen neoliberalen, antisozialen Wirtschafts- und Sozialpolitik wurde in die juristische Form einer Rechtsstaatskritik gepresst.

Da die EU nicht, wie z.B. in der Ukraine eine neue Regierung und ein neues Parlament glaubt installieren zu können, ist die Verteidigung des von der alten Regierung und der alten Parlamentsmehrheit personell ausgestatteten Verfassungsgerichts die Waffe, mit der man hofft, die sozialpolitischen Vorhaben der Regierung zerschmettern zu können.

Von den verschiedenen Linken in der BRD wird zu den sozialpolitischen Vorhaben der polnischen Regierung geschwiegen. Man stelle sich die Begeisterung, den Jubel und den Hoffnungstaumel vor, wenn solche Vorhaben von einem Sozialdemokraten vom Typus Tsypras‘ angekündigt worden wären.

Die PiS war in einem ordentlichen Wahlverfahren gewählt worden und hatte die Mehrheit der Wähler für ihr Programm gewonnen, nicht zuletzt ihrer sozialpolitischen Programmatik wegen. Die PiS sieht verständlicherweise die Gefahr, dass das Verfassungsgericht die sozialpolitischen Gesetze abändern oder verwässern werde.

Das Verfassungsgericht hatte vor zehn Jahren als, die PiS auch die Regierung stellte, mehrere deren Reformvorhaben verhindert.

Auch die Vorgängerregierung unter Tusk sah in dem Verfassungsgericht das Instrument, ihre radikal neoliberalen, arbeitnehmerfeindlichen Gesetze vor ihrer Reform durch die PiS zu bewahren. Was die jetzige Regierung und die PiS sozialpolitisch wollen, verdient den Namen Reform, indes die Reformen, die von der EU in Griechenland und anderswo eingefordert werden, ihrem Inhalt nach Gegenreformen zu den Reformen sind, die von der Arbeiterbewegung erstritten worden sind.

Auf das Verfassungsgericht hoffend und die Wahlniederlagen vor Augen hatte die PO als damalige Regierungspartei es im Juni 2015 durch eine Gesetzesänderung ermöglicht, noch fünf neue Verfassungsrichter wählen zu lassen; darunter zwei, die Richter ersetzen sollten, deren Amtszeit noch nicht abgelaufen war. Das hat weder Schulz noch Oettinger noch sonst jemanden in den Institutionen der EU sonderlich gestört.

Das Verfassungsgericht ist inzwischen in alter Besetzung tätig geworden und hat die Normen des neu erlassenen Verfassungsgerichtsgesetzes für verfassungswidrig erklärt.

Die Regierung hält diese Entscheidung des Gerichts für nichtig und beabsichtigt, sie nicht zu beachten und nicht im Gesetzblatt zu veröffentlichen. Ein Gutachten zu diesen Rechtsfragen wird in Kürze von einem Juristengremium erwartet, das von der Venedigkommission des Europarates berufen worden ist.

Zu dem Rechtsstaatsverfahren gegen Polen und dem zu erwartenden Gutachten wird in einem weiteren Beitrag auf dieser Homepage Stellung genommen werden.

Festzuhalten ist bereits jetzt: die EU hat nur die Möglichkeit, ein Rechtsstaatsverfahren durchzuführen, wenn sie prüft, inwieweit ein Verfassungsgericht und seine Funktionsfähigkeit notwendiger Bestandteil eines Rechtsstaats sind.

Die Abgrenzung der jeweiligen Befugnisse des Parlaments und des Verfassungsgerichts muss, solange der Rechtsstaat in seinem Kernbereich nicht verletzt ist, von Polen in Polen nach polnischem Recht erfolgen.

In Polen ist nun die bizarre Situation eingetreten, dass das Verfassungsgericht selbst über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes entschieden hat, das seine Zusammensetzung und sein Verfahren neu geordnet hat. Dadurch ist ein Verfassungsstreit erzeugt worden, der noch lange die Verfasser von Doktorarbeiten und Habilitationsschriften mit Material versorgen wird.

Das polnische Verfassungsgericht hat sich mit seinem Urteil zur Selbstherrschaft ermächtigt. Gleich den historischen Selbstherrschern, z.B. den russischen Zaren, die, einmal durch Gottes Gnade eingesetzt, vollkommen aus eigenem Recht handelten, so vermeint das polnische Verfassungsgericht, weil einmal in der Verfassung durch einen ursprünglichen verfassungsgebenden Akt eine Verfassungsgerichtsbarkeit eingesetzt worden ist, selbstherrlich und auch gegen den Willen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers feststellen zu können, wer Verfassungsrichter ist und wer nicht und selbst entscheiden zu können, welches verfassungsgerichtliche Verfahren es zu befolgen gedenkt.

Der juristische Streit und der politische Machtkampf, den Parlament und Verfassungsgericht in Polen zur Zeit austragen, ist zunächst eine innerpolnische Angelegenheit.

Die polnischen Irrungen und Wirrungen sind aber für jeden Staat der EU von fundamentaler Bedeutung.

Mit Hilfe der Rechtsstaatsideologie kann jede von linken Kräften geforderte und betriebene Abkehr von der neoliberalen Politik der Verteidigung und Förderung des Eigentums an den Produktionsmitteln als Verletzung des „Rechtsstaatsprinzips“ gedeutet, bekämpft und dann auch sanktioniert werden. Die Linken in der Bundesrepublik und in den anderen EU-Staaten sollten sich der Gefahr für Sozialstaat und Demokratie bewusst sein, wenn nicht verhindert wird, dass die EU in das Justiz- und Rechtswesen der Einzelstaaten eingreift und eine fundamentalistische neoliberale Ordnung der Wirtschaft einfordert.

Es scheint ein wenig in Vergessenheit geraten zu sein, dass fortschrittliche, demokratische Wissenschaftler wie Wolfgang Abendroth und Helmut Ridder sich sehr kritisch mit der Rechtsstaatsideologie und ihrem Kern, dem Schutz des Privateigentums, auseinandergesetzt haben und das antidemokratische Potential der viel gepriesenen „Krönung“ des Rechtsstaates durch das Verfassungsgericht erkannten. Abendroth sah Anlass, vor einer „Diktatur des Verfassungsgerichts“ zu warnen. Helmut Ridder hat in einer sehr anregenden und konzentrierten Abhandlung die politischen, historischen und rechtlichen Probleme des Rechtsstaates abgehandelt.

In ihr stellt Ridder fest: „In der „Rechtsstaatsidee“ ist die Abweisung jeder demokratischen Legitimation von Staatsgewalt angelegt“ (kursiv H.R.) Dieser Beitrag ist, obwohl 1987 erschienen, hochaktuell; vgl. auch: Helmut Ridder, Die neueren Entwicklungen des „Rechtsstaats“, in: Karl Heinz Schöneburg, Hrsg., Wahrheit und Wahrhaftigkeit in der Rechtsphilosophie, Berlin 1987, S.116 – 134. S. auch Peter Römer, die Kapitel: Der Rechtsstaat: Schranke oder Garantie der Demokratie und Demokratische Verfassung und Verfassungsgerichtsbarkeit in: Peter Römer, Im Namen des Grundgesetzes, Hamburg 1989, S.121 – 147.

Sehr lehrreich für Linke sind auch die Korrekturen des Bundesverfassungsgerichts an den Gesetzesvorhaben, die unter der Regierung Willy Brandts im Verfolg der Politik des „Mehr Demokratie wagen“ erlassen worden waren.

Ich zitiere aus meinem Beitrag “Gelockerter Riegel? Das Bundesverfassungsgericht, die Diskussion um die Folter und der Fall Dreier“ einige Beispiele und erinnere:

An das Hochschulurteil, wonach die Demokratisierung der Hochschulen der „bestehenden Schlüsselstellung der Professoren“ Rechnung zu tragen habe, BVerfGE 35, S.79 ff.

An das Urteil zur Kriegsdienstverweigerung, durch das die sogenannte „Postkartenregelung“ abgeschafft und die Gewissensüberprüfung gefordert wurde sowie die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr Verfassungsrang erhielt, BVerfGE 48, S.127 ff.

An das Urteil zur Unternehmensmitbestimmung. Das Gesetz dazu war ein zwischen den Parteien und den sie stützenden wirtschaftlichen Kräften mühsam austarierter Kompromiss, der vom Bundesverfassungsgericht nur mit dem Vorbehalt gebilligt wurde, dass auch in Zukunft durch die Mitbestimmung keine Gefahr für die Gewinne der Unternehmen entstehen dürfe, BVerfGE 50, 290

An das Urteil zu § 218 StGB, durch das die ursprüngliche Fristenlösung aufgehoben wurde, BVerfGE 39,S.1 ff.

An das Grundlagenvertragsurteil, BVerfGE 36,S.1, dessen sämtliche Urteilsgründe zu „tragenden“, damit alle Staatsorgane bindenden, Gründen erklärt worden waren; mit ihm wurde versucht, der neuen Außenpolitik der Bundesregierung gegenüber der DDR und der UdSSR Leitlinien vorzugeben.

Dieser Beitrag ist als pdf Datei kostenlos herunterzuladen auf dieser Homepage unter B, 5.

Ein vergleichbares Schicksal dürfte das derzeitige Bundesverfassungsgericht allen Gesetzen bereiten, die es wagten, das Privateigentum an den Produktionsmitteln sozialstaatlich einzuschränken.

 

 

14.02.2016

Rechtsstaat und Verfassungsgerichtsbarkeit in Polen

 

Im Dezember 2015 wurden in Polen die Abgeordneten des Parlaments neu gewählt.

Die nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit, PiS, unter ihrem Vorsitzende Kaczynski erhielt die absolute Mehrheit der Stimmen.

Die Regierung Ewa Kopacz, die sich auf die liberal-konservative Bürgerplattform PO gestützt hatte, wurde ersetzt durch eine neue unter der Ministerpräsidentin Beata Szydlo.

Unter der Vorgängerregierung war in Polen eine unerbittlich neoliberale Politik der Stützung und Stärkung der großen Konzerne und Finanzagglomerate betrieben worden, wie auch in Griechenland, Portugal und Spanien geschehen.

Polen war der Liebling der EU und wurde den anderen osteuropäischen Staaten als Vorbild angepriesen, weil Arbeitsproduktivität und Bruttosozialprodukt gestiegen waren.

Aber wie in allen Staaten, die sich dem Brüsseler Diktat der Austerität zu unterwerfen hatten und die eine neoliberale Wirtschaftspolitik verfolgten, führte diese Politik zugleich zu Massenarbeitslosigkeit, vor allem der Jugendlichen, und zur Verarmung und Erniedrigung großer Teile der Bevölkerung. Viele Arbeiter, vor allem jugendliche, sahen keinen anderen Ausweg als die Emigration. Die PO war auch abgewählt worden von den benachteiligten, perspektivlosen, ihr Kümmerdasein am Rand der Gesellschaft fristenden Jugendlichen, verarmten Alten, Kleinbauern und kleinen Gewerbetreibenden. Sie alle hatten jedes Vertrauen in die Versprechungen der neoliberalen politischen und wirtschaftlichen Machthaber verloren.

Die PiS ist streng katholisch und reaktionär und Kaczynski ist glühender Antikommunist, ist Russlandhasser, ist Putins Feind, und betreibt eifrig, zusammen mit der NATO eine gegen Russland gerichtete militärische Aufrüstung.

Wirtschaftspolitisch aber ist die PiS angetreten mit einem gegen die von der Vorgängerregierung und der EU betriebene neoliberale, fundamentalistische Austeritätspolitik. Sie will den Bruch mit dieser Politik und sie ist gewählt worden, um diesen Bruch zu vollziehen.

Die PiS hat versprochen ein Kindergeld einzuführen, das Rentenalter zu senken, das Arbeitsrecht zu Gunsten der Arbeitnehmer zu reformieren, die Sicherheit der Arbeitsplätze zu gewährleisten und die Arbeit selbst humaner und besser bezahlt auszugestalten.

Für Banken und Versicherungen wird eine Steuer in Höhe von 0,44% ihrer Bilanzsumme eingeführt. Dieser Steuersatz ist der höchste in der EU. Diese Steuer soll die Finanzierung der neuen sozialpolitischen Maßnahmen ermöglichen und nicht, wie z.B. die vergleichbare Steuer in Großbritannien, die Banken und ihre hochspekulativen Geschäfte absichern.

Dieser Bruch der PiS mit der bisherigen Wirtschaftspolitik konnte den Institutionen der EU begreiflicher Weise nicht gefallen. Vor allem der gegenwärtige EU Ratspräsident Donald Tusk, der die Verhältnisse, die das polnische Volk in seiner Mehrheit nun geändert wissen will, geschaffen hatte, ist der Feind der PiS. Man kann vermuten, dass er bemüht war – und ist – Gegenkräfte gegen die neue Regierung zu mobilisieren. Allerdings konnte eine andere Wirtschaftspolitik von der EU nicht wie in Griechenland erzwungen werden.

Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz, SPD, aber sah eine Möglichkeit, Polen die Räson der EU aufzuherrschen.

Er trampelte gleich dem bekannten Elefant in den Porzellanladen der EU, schwenkte wie gewohnt, munter seinen Rüssel, um das nächste Mikrofon zu ergreifen und zu trompeten, wie klug und kraftvoll er doch sei und wie prächtig er das Porzellan der PiS zerschlage. Polen habe die Werte der EU verletzt und müsse sanktioniert werden. Angeschuldigt wurde die polnische Regierung der Verletzung der Rechtsstaatlichkeit. Schulz erklärt, was sich in Polen abspielt, habe Staatsstreichcharakter und sei dramatisch. Er beklagt eine „Putinisierung“ Polens. Der luxemburgische Außenminister, Jean Asselborn sekundiert: Wir dürfen nicht davor zurückschrecken, mit dem Finger auf diejenigen Länder zu zeigen, in denen Grundrechte und Verfassung mit Füßen getreten werden.

Kern des Rechtsstaates, der angeblich in Polen zerstört werde, ist, wie er auch immer definiert wird, die Gesetzlichkeit allen staatlichen Handelns. Die EU dürfte nun wenig berufen sein in Sachen Gesetzlichkeit die Rolle der Anklägerin und der Richterin (eine rechtsstaatlich hochproblematische Doppelrolle) zu übernehmen. Es wird allgemein und ziemlich unbestritten beklagt, dass die Institutionen der EU mit ihren eigenen Gesetzen nicht sonderlich gesetzestreu umgehen; man denke nur an die Eurokrise und die Flüchtlingsproblematik und vor allem an die völkerrechtswidrigen Kriege in Syrien und anderswo

Es ist durchaus anerkennenswert, dass die PiS sich sofort und ernsthaft bemüht hat, ihre sozialpolitischen Versprechen zu erfüllen. Sie folgt nicht der Praxis so vieler anderer Parteien, die, sobald sie die Wählerstimmen eingesammelt haben, ihren Ankündigungen und Verheißungen keine Taten folgen lassen. Alexander Ulrich, Obmann der Fraktion Die Linke im EU-Ausschuss des Bundestages indes behauptet: „Die Regierung Kaczynski hat sich mit sozialpolitischen Versprechen wählen lassen, um nun das Verfassungsgericht zu entmachten und die Medien unter Regierungskontrolle zu bringen. Das ist ein direkter Angriff auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, der in Europa nicht hingenommen werden darf.“ Ulrich unterstellt hier, die PiS betreibe die Reform des Verfassungsgerichts nur, um ihre Macht zu stärken und sieht darin einen Widerspruch zu ihren sozialpolitischen Versprechen. Die Einschränkung der Macht des Gerichts, bezweckt jedoch die Verwirklichung dieser Versprechen.

Die von Schulz beklagte „Putinisierung der Politik“ in Polen ist eine eher skurrile Behauptung, aber für den Putingegner Kaczynski besonders beleidigend. Worin denn die Putinisierung sich konkretisiert, wird von Schulz nicht ausgeführt.

Beschuldigt wird die polnische Regierung konkret der Verletzung rechtsstaatlicher Werte durch Beeinträchtigung der Stellung und Funktion des Verfassungsgerichtshofs.

Eines der ersten Gesetze, das vom neugewählten Parlament beschlossen worden war, betraf die Verfassungsgerichtsbarkeit. Die PiS sah die Gefahr, dass vom Gericht, dessen sämtliche Richter von der vorigen Regierungsmehrheit gewählt worden waren, die Reformgesetze geändert oder aufgehoben werden. Die von der PiS geplanten arbeitnehmerfreundlichen Gesetze sind echte Reformgesetze, indes die „Reformen“ der EU Konterreformen sind, die erreichte sozialpolitische Reformen rückgängig machen.

Kurz vor den Parlamentswahlen vom 25.10.2015 wurden noch 5 Verfassungsrichter gewählt, zwei davon rechtswidrig, weil die Amtszeit der Richter, an deren Stelle sie treten sollten noch nicht abgelaufen war. Das hatte in der EU nicht einmal ein Stirnrunzeln hervorgerufen. Ernannt wurden diese Richter dann nach der Wahl nicht mehr.

Gemäß der im Dezember 2015 beschlossenen Reform werden alle Entscheidungen des Gerichts mit Zweidrittelmehrheit beschlossen und nicht wie bisher mit einfacher Mehrheit. Bei wichtigen Entscheidungen müssen dreizehn der fünfzehn Richter anwesend sein, nicht wie bisher neun. Die Entscheidungen des Gerichts müssen nach dem Eingang der Verfahren getroffen werden; die Auswahl der zu verhandelnden Fälle liegt also nicht mehr im Ermessen des Gerichts.

In dieser Neuordnung des Gerichtsverfahrens wurde eine so schwerwiegende Gefährdung der Unabhängigkeit der Verfassungsgerichtsbarkeit und damit der Gewaltenteilung und der Rechtsstaatlichkeit gesehen, dass ein sogenanntes Rechtsstaatsverfahren gegen Polen eingeleitet wurde. Dies 2014 eingeführte Verfahren sieht vor, dass Sanktionen gegen einen Staat, der die „Werte“ der Rechtsstaatlichkeit verletzt, verhängt werden können bis hin zum Verlust seines Stimmrechts.

Es ist jedoch höchst zweifelhaft, ob die Rechtsstaatlichkeit so gravierend verletzt worden ist, dass Anlass sein könnte, ein Rechtsstaatsverfahren einzuleiten. In der BRD allerdings wird eine besonders heftige und sehr polemische Kritik an dem Gesetz die Verfassungsgerichtsbarkeit betreffend geübt. Nicht untypisch titelt n-tv im Internet: „Teufelsaustreibung und Kreuzzüge. Polen außer Rand und Band.“

Dieser wütende kämpferische Einsatz für die Rechtsstaatlichkeit in Polen ist Teil einer Kampagne gegen die neue Regierung und insbesondere gegen deren Sozialpolitik. In Polen wird inzwischen auch wohlorganisiert gegen die neue Regierung demonstriert.

In der EU ist man sich mit dem polnischen EU Ratspräsidenten einig, dass die bisherige Wirtschaftspolitik richtig war und fortzuführen sei. Die Sozialpolitik wird dabei der neoliberalen Wirtschaftspolitik vollständig untergeordnet und wird als Kollateralschaden der Wirtschaftspolitik abgebucht.

Es geht in Wirklichkeit um die Wirtschaftspolitik in Polen, nicht um die juristische Ausgestaltung der Verfassungsgerichtsbarkeit.

Alle vorgenommenen Änderungen sind rechtspolitisch begründbar und verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht.

Es ist sinnvoll, das Gericht zu verpflichten, die Klagen nach ihrem Eingang zu behandeln. Es ist keineswegs zwingend geboten, dass die Richter die Fälle nach der ihnen zugemessenen Bedeutung und oder Dringlichkeit behandeln. Den Richtern wird damit ein beträchtlicher Spielraum freien Ermessens zugebilligt. Die Entscheidung über die Reihenfolge ist eine rein politische und von erheblicher Bedeutung. Der Gesetzgeber hat ein berechtigtes Interesse, dass ein von ihm erlassenes Gesetz behandelt wird, sobald eine Klage auf Feststellung seiner Verfassungswidrigkeit eingereicht wird; befasst sich das Gericht erst später, vielleicht viele Jahre, später damit, besteht die Gefahr, dass die Politik stillgestellt und der Gesetzesvollzug ausgesetzt wird bis zu Entscheidung des Gerichts. Zu klären wäre allerdings, wie die schon bei Gericht eingereichten Altfälle zu behandeln sind, die noch aufgearbeitet werden müssen. Das sind gerichtsorganisatorische Fragen, die das Gericht beantworten muss und kann. Gegebenenfalls muss auch der Gesetzgeber nachbessern, z. B. durch eine bessere finanzielle Ausstattung des Gerichts, um Mitarbeiterstellen zu finanzieren und moderne Kommunikationsmittel zu beschaffen.

Eine andere Neuregelung betrifft die Beschlussfähigkeit des recht großen Gerichts. Statt neun müssen nun mehr dreizehn der fünfzehn Richter an der Entscheidung beteiligt sein. Die Beschlussfähigkeit ist ein allgemeines Problem mehrköpfiger Gremien insbesondere von Gerichten. Es wird und wurde in der BRD und anderen Ländern unterschiedlich gelöst. Ein höheres Quorum verhindert Zufallsentscheidungen, die besonders misslich bei Verfassungsgerichtsentscheidungen sind. Es ist abwegig, von einer Norm über die Beschlussfähigkeit des Verfassungsgerichts die Rechtsstaatlichkeit eines Staates abhängig zu machen. Unbedenklich wäre auch, überhaupt kein Quorum vorzusehen und Einstimmigkeit des entscheidenden Gremiums zu verlangen.

Sehr viel größere Bedeutung als der Beschlussfähigkeit kommt der Entscheidung über die erforderliche Mehrheit für einen Beschluss zu. Das Gericht soll nunmehr mit zweidrittel Mehrheit, nicht wie bisher mit einfacher Mehrheit entscheiden. Es gibt keinen rechtsstaatlichen Grundsatz und keine rechtsstaatliche oder sonstige Norm, die bestimmt, mit welcher Mehrheit ein Verfassungsgericht seine Urteile fällen soll. Das ist eine politische Entscheidung, die der Gesetzgeber zu treffen hat. Wohl aber gibt es den demokratischen Grundsatz, dass die Gesetzgebung ausschließlich beim Volk oder bei seinen in demokratischer Wahl gewählten Vertretern liegt. Die Verfassungsgerichtsbarkeit beschränkt die gesetzgebende Gewalt des Volkes ausnahmsweise. Sie sollte deshalb so demokratiekonform ausgestaltet werden wie möglich. Die zweidrittel Regelung ist eine solche Ausgestaltung.

Am Beispiel der BRD kann das illustriert werden. Ein Bundesgesetz wird, vielleicht sogar mit zweidrittel Mehrheit vom Bundestag, also von mehreren hundert Abgeordneten beschlossen. An diesem Gesetzgebungsprozess sind eine sehr viel größere Zahl von Personen und Institutionen beteiligt, von denen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes überprüft wird: Die Mitarbeiter der Abgeordneten, die Juristen der Parteien, denen die Abgeordneten angehören, die von dem Gesetz Betroffenen und an seinem Erlass oder Verhinderung Interessierten und somit die verschiedenen Verbände und Vereinigungen und Lobbyisten, der juristische Dienst der Bundestages, die beteiligten Ministerien mit ihren beträchtlichen juristischen Apparaten, die Wissenschaftler, die den Gesetzentwurf analysieren, die Medien schließlich, die stets auch die juristischen Probleme beleuchten. Wenn das Gesetz zustimmungspflichtig ist, werden die Länderregierungen mit ihren großen Rechtsabteilungen mit dem Gesetz befasst. Das ist nur ein kurzer, alles andere als vollständiger Flash auf ein Gesetzgebungsverfahren in einer Demokratie. Und nachdem nun endlich mit den erforderlichen Mehrheiten das Gesetz beschlossen und von dem Bundespräsidenten, der auch dessen Verfassungsmäßigkeit geprüft hat, verkündet worden ist, soll es die rechtsstaatlichen Fundamente eines Staates zerstören, wenn gefordert wird, das Verfassungsgericht solle nicht mit einfacher, sondern nur mit zweidrittel Mehrheit ein Gesetz für verfassungswidrig erklären und damit den Verlust seiner Geltung feststellen können? Das ist abwegig.

Die Werte der EU werden nach Meinung von Kommissar Günther Oettinger auch durch die neue Mediengesetzgebung schwer verletzt; deshalb müsse Polen durch den Rechtsstaatsmechanismus der EU „unter Aufsicht gestellt“ werden. Von der Medienproblematik ist in der Medienkampagne nicht mehr viel zu hören und zu lesen. Wenn man im Glashaus sitzt, empfiehlt es sich, den Steinwurf zu unterlassen. Von polnischer Seite wurde denn auch gleich darauf hingewiesen, dass die BRD sich wohl kaum als Vorbild eigne. Riesige Medienkonzerne entscheiden, was gelesen, gehört und im Fernsehen gesehen wird. Die Medienkonzerne sind zum allergrößten Teil privates Eigentum einzelner Familien. Mächtige, auch politisch einflussreiche Frauen beherrschen die größten dieser Konzerne. Liz Mohn die Bertelsmanngruppe, Friede Springer den Springerverlag. Und die öffentlich rechtlichen Medien sind fest eingeschnürt von den kräftigen filzigen Stricken der Parteien.

Mit seine Forderung ausgerechnet Polen „unter Aufsicht“ zu stellen hat der deutsche Politiker Oettinger seine bekannte Fähigkeit bewiesen, jedes Fettnäpfchen zu suchen, um dann kraftvoll hineinzutreten.

Als CDU Politiker und Ministerpräsident von Baden-Württemberg wollte er auch schon mal das Fahren von Motorrädern auf öffentlichen Straßen verbieten; auch schlug er 2011 als EU Energiekommissar erfolglos vor, 40 Atomkraftwerke neu zu errichten. Erfolg aber hatte er als Ministerpräsident mit einem anderen Bauvorhaben gehabt: dem Umbau des Hauptbahnhofs von Stuttgart, Stuttgart 21. Ihm ist auch die Idee zu verdanken, die Flaggen defizitärer Mitgliedstaaten vor EU-Gebäuden auf Halbmast zu setzen. Der Oberbürgermeister von Tübingen wurde von Oettinger des Landesverrats beschuldigt, weil er ein japanisches Auto, ein Hybridmodell, als Dienstwagen angeschafft hatte.

Für heftige öffentliche Kritik sorgte Oettinger am 11. April 2007 mit seiner Trauerrede beim Staatsakt im Freiburger Münster zum Begräbnis von Hans Filbinger, einem seiner Vorgänger im Amt des Ministerpräsidenten, der 1978 nach öffentlichem Druck zurückgetreten war. Oettinger hatte in dieser Rede ausgeführt: „Anders als in einigen Nachrufen zu lesen, gilt es festzuhalten: Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des NS-Regimes…. Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben verloren hätte.“ Filbinger, Marinestabsrichter und treuer Diener des NS Regimes hatte, wie nachgewiesen werden konnte, vier Todesurteile gefällt. Ihn als Gegner des Nationalsozialismus zu bezeichnen, war eine Verhöhnung aller wirklichen Gegner dieses Regimes. Oettinger war zu weit gegangen. Er musste zurücktreten.

Einigen in der EU und in den Medien beschlich dann doch wohl das Gefühl, dass dieser Mann vielleicht nicht die ideale Besetzung für die „Aufsicht über Polen“ wäre. Sein Name, seine Kritik und sein prächtiger Vorschlag verschwanden aus den Schlagzeilen.

In dem Rechtsstaatsverfahren werden sehr wahrscheinlich keine Sanktionen verhängt werden, jedenfalls keine Beschränkung der Stimmrechte Polens. Die beträchtlichen Transferleistungen der EU werden nicht angetastet werden, vor allem weil das deutsche Kapital nicht auf die Gelder wird verzichten wollen, die von Polen in die deutsche Wirtschaft zurückfließen.

Die ganze gegen die neue Wirtschaftspolitik Polens entfachte Kampagne hatte auch den Zweck, anderen und schwächeren Staaten die Folterwerkzeuge der EU zu zeigen, wenn sie ebenfalls auf die Idee kommen sollten, sozialpolitisch aktiv zu werden.

Man ist inzwischen bemüht, die Folterwerkzeuge in ihre Kammer zurück zu stellen und den Scherbenhaufen, den Martin Schulz und Andere produziert hat, möglichst geräuschlos zusammen zu kehren.

Marcus Felsner, Vorsitzender des Osteuropavereins der deutschen Wirtschaft, hält es für „nicht angemessen“ Polen um den Beweis seiner Zugehörigkeit zu Europa zu bitten und der Vizepräsident der EU Frans Timmermans ist überzeugt, Schulz und Oettinger hätten „schon genug Schaden angerichtet.“ Norbert Röttgen, CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages kritisiert, der Vorwurf der Putinisierung Polens sei völlig maßlos und diffamierend und auch die Abgeordnete Rebecca Harms, Fraktionschefin der Grünen ist der Überzeugung, Polen habe mit Putins Russland „gar nichts zu tun“ und seine Regierung sei in fairen und geheimen Wahlen gewählt worden. Der Vorsitzende der EVP Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber, CSU, hatte in der Polen Debatte einem nichtdeutschen Kollegen das Wort überlassen, „weil er sich als Deutscher nicht zu den Vorgängen in Polen äußern wolle.“

Da wurden an Schulz und Oettinger schallende Ohrfeigen verteilt; aber in der Öffentlichkeit konnte man davon nur sehr wenig hören. Der mediale Teppich ist groß, da lässt sich manches drunterkehren.

 

18.12.2015

Griechenland nach der Wahl - die Linke vor der Entscheidung

 

Tsipras hat bei der Wahl vom September, die er entgegen seinem Versprechen zuvor einen Parteitag einzuberufen, durch seinen Rücktritt erzwungen hatte, ein besseres Ergebnis erzielt als vielfach erwartet.

Allerdings hatte er 300 000 Wähler verloren. Die Opposition, die in der eigenen Partei gegen das Memorandum gestimmt hatte und sich „gleichsam aus dem Nichts“ unter dem Namen „Volkseinheit“ gründen musste, verfehlte die Sperrklausel von 3% lediglich sehr knapp.

Die kommunistische Partei, die KKE, erzielte immerhin 5,5 % der Stimmen.

Man kann davon ausgehen, dass die Wählerinnen und Wähler diese Partei, die zuvor im Unterschied zu Syriza intensive Basisarbeit geleistet hatte, nicht aus einer diffusen Protesthaltung heraus gewählt haben, sondern die Ziele, die von ihr verfolgt wurden, genau kannten und sie deshalb wählten.

Eine parlamentarische Mehrheit erlangte Syriza nicht, obwohl sie als stärkste Partei einen Bonus von immerhin 50 Parlamentssitzen erhielt.

Fast übereinstimmend wird von Wahlbeobachtern und Wahlanalysten berichtet, Tsipras sei eher aus Resignation gewählt worden, denn aus Begeisterung für seine Politik.

Die Wahlbeteiligung betrug nur 55 %. Das ist ein erschreckendes Ergebnis, das viel zu wenig Beachtung erfährt.

Alle zur Wahl angetretenen Parteien müssten sich intensiv mit der Frage beschäftigen, wer aus welchen Gründen nicht gewählt hatte und wie Abhilfe zu schaffen sei.

Schwierige Fragen zweifellos und alle Antworten problematisch. Aber diese müssen gesucht werden, denn die Gefahr ist groß, dass bei der weiteren Zuspitzung der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krisen in Griechenland und anderswo diese ganze Masse der Wahlabstinenten politisch aktiv wird, angetrieben von Enttäuschung, Wut, Verzweiflung und Verbitterung.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Bewegung nach ganz rechts abdriften wird und an ihren Rändern gewaltbereite Ausfransungen sich bilden. Die Demokraten in allen Parteien, in allen Klassen und gesellschaftlichen Schichten müssen in diesem Fall zusammenstehen und einen antifaschistischen Block bilden.

Dann wird es darauf ankommen, dass Widerstand organisiert wird von denjenigen, die tatkräftig und mutig sind und fähig, die Klassen- und Machtverhältnisse realistisch zu analysieren. Von den Wählern von Syriza und den Freunden von Tsipras wird man nur in Ausnahmefällen effektiven Widerstand im Denken und Handeln erwarten können.

Es ist die Stunde der Kommunisten in Griechenland und überall dort, wo sich die Erkenntnis durchsetzt, dass das Ende der Misere nur bewirkt werden kann durch gesamtgesellschaftliche, staatliche Planung und Lenkung der grundlegenden Produktionsverhältnisse mit dem Endziel der Aufhebung des Privateigentum an den Produktionsmitteln.

Beim Kampf gegen und bei dem Sieg über den Faschismus in Europa haben die Kommunisten überall an vorderster Front gekämpft, gerade auch in Griechenland. Man wird sie im Kampf gegen eine erstarkende Rechte, welche Form diese sich auch immer geben mag, brauchen.

Das sollten diejenigen bedenken, die von der KKE und ihren Anhängern nur mit Geringschätzung und Verachtung sprechen.

Tsipras hatte dem Memorandum bedingungslos zugestimmt. Seine Aufgabe, die er unbedingt zu erfüllen hat und zu erfüllen auch angetreten ist, besteht in der Umsetzung des Memorandums.

Er hat und die Griechen haben also ihre „Hausaufgaben zu machen“; wie mancher Politiker nicht müde wird zu wiederholen. Mit dieser häufig gebrauchten Vokabel wird deutlich gemacht, für was man Griechenland hält: für ein Kind, das mit Ermahnungen, Bestrafungen und gelegentlichen kleinen Belohnungen zur Erfüllung seiner Pflichten angehalten werden muss.

Zu den „Hausaufgaben“ der Regierung gehören auch diverse Steuererhöhungen, die vor allem diejenigen treffen, denen es schon elend genug geht.

Vorgesehen hatte die Regierung Tsipras aber auch erhöhte Steuern auf Einkünfte aus Vermietungen. Abgeordnete der Regierungskoalition protestierten dagegen, sodass zweifelhaft war, ob das Gesetz eine Mehrheit finden werde. Andererseits musste auf Anordnung der Troika das Steuererhöhungsgesetz beschlossen werden, anderenfalls die versprochenen Kredite nicht ausgezahlt würden. Tsipras musste also nachgeben und die geplante Erhöhung der Steuern auf Mieteinkünfte bis zu 12000 € von11 auf 15 % streichen. Auf Mieteinkünfte über 12000 € werden weiterhin 33 % Steuern erhoben, statt wie geplant 35%.

Unter dem Druck der eigenen Koalitionsbasis einerseits und dem der Troika andererseits war Tsipras gezwungen gewesen, nachzugeben.

Eine Situation, die sich wohl in Zukunft öfter ergeben wird und die wieder einmal zeigt, wie illusionär die Hoffnung derjenigen ist, die glauben, Tsipras könne eine eigenständige Politik betreiben.


Tsipras: Der Verräter


Von Anfang an, von der Annahme des oktroyierten Memorandums und dem Versprechen, seine Bedingungen zu erfüllen, bis zur Bildung seiner neuen Regierung wurde Tsipras‘ Politik kritisiert, zum Teil sehr heftig

Die wesentliche und politisch auch unmittelbar relevante Kritik kam aus den Reihen der Syriza selbst, von jener Gruppe, die sich dann auch als die neue Partei „Volkseinheit“ konstituierte. Sie warf Tsipras den Bruch all seiner Versprechen vor sowie sein striktes Festhalten am Euro, an der Europäischen Union.

Mikis Theodorakis als Künstler, antifaschistischer Kämpfer und politischer Lehrer hochgeachtet und verehrt, antwortete in einem Interview mit dem „Tagespiegel“ auf die Frage welchen Vorwurf er Tsipras mache: „Herr Tsipras als linker Politiker und Syriza – sie begannen als erklärte Gegner der katastrophalen Politik der Memoranden (die in Europa "Rettungspakete" genannt werden). Also wie soll man diejenigen charakterisieren, die als Kämpfer gegen die Memoranden antraten und aus denen diejenigen geworden sind, die jetzt das dritte Memorandum der absoluten Katastrophe umsetzen werden?“

Theodorakis ist der Überzeugung Griechenlands Vernichtung habe bereits begonnen. “Nicht durch Bombardements und Massentötungen, sondern durch Methoden, die ökonomisches Ersticken bewirken. Ich habe es schon oft gesagt: Von dieser Erstickungspolitik mit den Mitteln der Austerität sind bereits 50 Prozent der Griechen auf die eine oder andere Weise betroffen. Durch die Umsetzung der Vorgaben des dritten Memorandums unter der Ägide der Strategen Merkel, Schäuble und jetzt auch Syriza wird unser aller Vernichtung besiegelt.“

Und er fährt fort: „Für die griechische Linke mit ihrer Tradition der Unbeugsamkeit ist die Unterwerfung unter ausländische Direktiven, die ausländischen Interessen dienen, ein schändlicher Akt.“

Tariq Ali stellt fest, dass Tsipras und seine Leute das Memorandum akzeptiert hätten, sei ein „dramatischer und eklatanter Verrat am griechischen Volk“. Tsipras und Syriza hätten „das Memorandum, die Troika, die EU Politik in einer Weise legitimiert, wie es die Rechten niemals geschafft hätten.“ Gespräch mit Tariq Ali, geführt von Nick Brauns „Die EU ist ein äußerst reaktionäres Konstrukt“, (jw spezial, Das politische Buch, 30.10. 2015)

Das ist richtig, deshalb wurde Tsipras gleichsam über Nacht zum „Good guy“ (Andreas Wehr) der Troika.

Tariq Ali stellt ferner fest: “Die Krise der EU wurde deutlich, als der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble viel Geld bot, um die griechische Regierung davon zu überzeugen, aus dem Euro auszusteigen. Natürlich hatte Schäuble seine eigenen Motive, aber ich hätte dieses Angebot angenommen.“

Schäuble berichtete später von den Verhandlungen, auf dem Euro-Gruppentreffen am 11.Juli habe eine satte Mehrheit von 15 der 19 Finanzminister für den zeitweiligen Austritt aus dem Euro gestimmt. Er habe nur zur Debatte gestellt, ob es nicht im ökonomischen Interesse Griechenlands sein könne, zeitweise aus dem Euro auszuscheiden und über eine Abwertung seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. (FAZ,. 21.10.2015)

Die Regierungschefs lehnten, geführt von der deutschen Kanzlerin, den Vorschlag der Finanzminister ab.

Schäubles Vorschlag wurde in inhaltlicher Übereinstimmung mit Frau Merkel und den Regierungschefs auch wütend und nicht ohne verbale Aggressivität von Tsipras und Varoufakis abgelehnt.

Es sind Zweifel angebracht, ob Finanzminister Varoufakis als Verhandlungspartner geeignet gewesen ist. Die Bezeichnung der EU als Gangsterbande, mag sie auch nicht unrichtig sein, hat erheblich zur Verhärtung der Positionen beigetragen, das Misstrauen der Institutionen vertieft und sie in ihrem Festhalten an ihren erpresserischen Forderungen bestärkt.

Als Varoufakis, auf einer größeren Veranstaltung auf seine Bemerkung, die EU erinnere ihn an „die Gangster von Chicago“ angesprochen wurde, konnte er nur schmunzeln, so wird berichtet. Wenn Varoufakis schmunzelt, haben andere nichts zu lachen.


Schuldenschnitt und Grexit


In der ganzen sehr umfänglichen und höchst kontrovers geführten Debatte über den Grexit wird vernachlässigt, dass ein Verlassen des Euros nicht das Hautproblem Griechenland war und ist.

Ohne einen und zwar sofortigen Schuldenschnitt ist eine wirtschaftliche Erholung Griechenlands nicht denkbar. Die griechische Regierung muss die Zinszahlungen und die Rückzahlung der Kredite verweigern oder zumindest für längere Zeit aussetzen. Die Banken müssen nicht gerettet werden, sondern die Einlagen der Griechen sollten bis zu einer zu bestimmenden Höhe gerettet werden; ihre Rückzahlung wäre vom Staat zu garantieren. Zu denken wäre an eine Art staatlicher Kreditanstalt für Wiederaufbau.

Dann müssen die Gläubiger und ihre Institutionen entscheiden, ob das den Ausschluss aus der Eurozone bedeuten soll oder nicht. Bei den Wutattacken gegen Schäuble und Merkl wird leicht übersehen, dass der Grexit und der dann nicht unwahrscheinliche Austritt aus der EU auch für die Gläubiger und ihre Institutionen erhebliche Probleme und Gefahren mit sich bringen, die man zu vermeiden versuchen wird; da werden dann die think tanks zu rauchen beginnen, übrigens auch bei den Juristen. Auch wenn Griechenland bei Zahlungsverweigerung in der Euro-Zone verbleiben sollte, was unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen ist, bleibt die Frage, ob Griechenland nicht von sich aus den Grexit betreiben soll, eventuell mit einer Übergangszeit mit zwei Währungen.

Sicher ist, dass bei Zahlungsverweigerung neues Geld von den Kapitalgebern nicht zur Verfügung gestellt werden wird, jedenfalls nicht von privaten Gläubigern, Griechenland müsste also zuerst alle eigenen Finanzen und Ressourcen nutzen, nicht mit dem primären Ziel, auf dem Weltmarkt zu konkurrieren, sondern um Industrie und Landwirtschaft zu fördern.

Das wussten einmal auch Syriza und Tsipras: Der Ausgangspunkt für alle Überlegungen und Pläne für Griechenland ist und bleibt der Schuldenschnitt.

Das Ziel der EU-Institutionen in Griechenland und anderswo, z.B. in Portugal, ist dagegen die (Wieder) – Herstellung der, wie das Unwort heißt „Schuldentragfähigkeit“ eines Landes. Ist diese durch rigorose Pressionen gegen die lohnabhängig Arbeitenden erreicht, dann wird hochbegeistert vom Kapital und all seinen zahlreichen Handlangern gejubelt: Herrlich, wunderbar, das Land kann wieder Schulden machen und -- nicht ganz so laut – muss es auch und zwar bei uns, die wir das Kapital haben und es Jahr für Jahr eifrig vermehren. Dass die Arbeitslosen, vor allem die seit Jahren arbeitslosen Jugendlichen davon nichts haben, außer neuen Schulden: das Kapital und seine zulangenden und handlangerden Politiker und Sprücheklopfer kümmert es wenig.

Griechenland hätte, wenn es einen solchen Bruch mit der neoliberalen Ideologie und den Finanzkräften gewagt hätte, die Chance neuen Beistands, neuer Unterstützung und neuer Hilfen von außerhalb der EU gehabt. Diese Chance besteht weiterhin.

Russland und China würden, nicht aus Altruismus, sondern im rational kalkuliertem Eigeninteresse, überlegen, Griechenland zu helfen, um die voraussehbare Katastrophe zu verhindern, die hereinbrechen wird, wenn die bisherige total gescheiterte Memorandum Politik von Tsipras nun verstärkt fortgesetzt wird.

Ohne Risiken ist eine Annäherung Griechenlands an Russland und China gewiss nicht. Wozu die USA bereit sind, wenn sie ihre Interessen gefährdet sehen, hat man in Afghanistan, im Irak, in Libyen in Syrien und anderen Ländern gesehen, wo sie bunte Revolutionen und Bürgerkriege anzettelten. Aber die USA ist geschwächt und das letzte, was sie gegenwärtig brauchen kann, ist ein neuer Konflikt in Griechenland, dessen Formen und dessen Ausgang ungewiss, aber in jedem Fall katastrophal wären.

Russland und China werden die Gefahrenlage ebenfalls sehr genau analysieren. Sie kennen die Fehler und die Verbrechen der USA. Sie werden sie sich nicht gerade zum Vorbild nehmen, so kann man annehmen, sondern werden versuchen, Griechenland mit wirtschaftlichen, finanziellen und kulturellen Vorteilen für sich zu gewinnen.

Die geostrategische Bedeutung Griechenland ist enorm groß. Das bringt Gefahren mit sich, aber auch bedeutende Handlungsmöglichkeiten für Griechenland.

Sie wurden von Tsipras und von Varoufakis nicht genutzt. Es wurde nicht ernsthaft diskutiert, Russland und China um Hilfe zu bitten. Eine Anfrage an diese Länder, ob man bereit sei, Kredite zu gewähren ohne zugleich eine Änderung der Wirtschafts- und Ausßenpolitik in Aussicht zu stellen. konnte allerdings keinen Erfolg haben.


Tsipras: Das Vorbild


Trotz der Kritik an Tsipras, die hier nur beispielhaft aufgezeigt wurde, wird dieser in Deutschland von vielen weiterhin als ein Linker unterstützt, der unter den gegebenen Verhältnissen richtig gehandelt habe und weiter richtig handeln werde.

In Portugal und Spanien ist Tsipras nach seiner Unterwerfung und der Zustimmung zum Memorandum überhaupt kein Thema mehr.

Die Tsipras - Euphoriker, die in ihm und seiner Partei die politische Kraft sahen, die in Europa die Linke voranbringen werde, sind verstummt. Jetzt, wo wirklich in Portugal durch ein linkes Wahlbündnis, dem eine grüne und einer marxistische Partei angehört, die bisherige rechte Regierung gestürzt wurde, wird keineswegs von den Tsiprasjublern mit gleicher Begeisterung und Strenge zur Unterstützung dieses Parteienbündnisses aufgerufen wie bei Syriza.

Wer sind die Verteidiger von Tsipras und welches sind ihre Argumente?

Da sind einmal die verdeckten Verteidiger von Tsipras.

Die offenkundige politische Kehrtwendung von Tsipras wollen sie nicht verteidigen, sind aber offenbar interessiert, es mit dessen Anhängern nicht zu verderben.

Zwei Beispiele: Da ist einmal Georg. Fülberth, der als Experte für den „Grundanstand“ in der Politik befindet, dass dieser verletzt sei, wenn die Politik von Tsipras analysiert und kritisiert wird, wenn mit „Stinke“-und Zeigefinger auf ihn und seine Politik gedeutet wird. Meine Kritik an Georg Fülberth habe ich in meinem Blogeintrag vom 27.08.2015 formuliert. Mit ihr habe ich nach Ansicht einiger nicht nur den Grundanstand gegen Tsipras, sondern auch gegen G. Fülberth verletzt.

Fülberths Ermahnungen sind n einer dezidiert linken Tageszeitung, der jW, veröffentlicht worden; sein Wort hat Bedeutung, jedenfalls in den Kreisen, die Helmut Ridder das ‚linke Völkchen‘ nannte.

Deshalb war es erforderlich, exemplarisch an einem Fall, der wohl kaum als unrealistisch bezeichnet werden kann, aufzuzeigen, welche Folgen eine so nonchalant hingeworfene Bemerkung über Zeigefinger und Stinkefinger, für diejenigen haben kann, die analysieren und kritisieren wollen und damit den geforderten Anstand verletzen.

Oskar Lafontaine wendet sich zu allererst nicht an ein linkes Völkchen, sondern an die linken Sozialdemokraten innerhalb und außerhalb der Partei „Die Linken“.

Deshalb wandelt sich der fülberthsche Stinkefinger in einen „erhobenen moralischen Zeigefinger“. Lafontaine schreibt: „Es wäre ungerecht und anmaßend, Alexis Tsipras und Syriza jetzt mit dem erhobenen moralischen Zeigefinger zu kommen.“ (jW, 22./23.08)

Da erwartet man eigentlich ein Komma und ein „weil…“

Aber das kommt nicht. Nicht der leiseste Hauch einer Begründung gibt es für diese Behauptungen und Wertungen. Aber über Gerechtigkeit und Moral wird seit über zweitausend Jahren diskutiert. Deshalb wäre es geboten, darzulegen auf welche und auf wessen Moral Bezug genommen wird.

Lafontaine ist aber in erster Linie Politiker, und zwar ein bedeutender und nicht Rechtsphilosoph. Er rät denn auch den Kritikern von Tsipras: “Viel besser ist es nach diesen Erfahrungen in der europäischen Linken darüber nachzudenken unter welchen Bedingungen in Europa demokratische und soziale, also linke Politik möglich ist.“

Das ist gewiss richtig und notwendig.

Aber welches sind denn diese Erfahrungen in Griechenland? Das ist der springende Punkt. Darüber muss eingehend und – wie könnte es anders sein – streitig diskutiert werden können.

Das soll aber gerade nicht geschehen; siehe die mahnend erhobenen Stinke- und Zeigefinger.

Die erste Lehre wäre wohl doch gewesen und ist es noch: Wir lassen uns nicht erpressen. Wir lehnen dieses Memorandum ab.

Das hatte Tsipras versprochen und das hatte das Volk beschlossen.

Es können keine Lehren für eine linke Politik in Griechenland und Europa erarbeitet werden, ohne eine sehr genaue Analyse der Niederlage vorzunehmen und zu fragen, wie sie möglicherweise mit welchen Kräften und mit welchen Bewegungen hätte abgeschwächt oder sogar verhindert werden können. Gefragt werden muss auch, ob, wenn die Niederlage unvermeidlich war, sie denn so jämmerlich und kläglich hätte erfolgen müssen.

Wäre das Memorandum und die mit ihm verknüpfte souveräne Herrschaft der Troika entsprechend dem Willen des Volkes und der Versprechungen Tsipras abgelehnt worden, hätte man die EU und insbesondere die deutsche Kanzlerin in allergrößte Schwierigkeiten gebracht. Neue Kredite mussten und sollten gegeben werden, damit die Zinszahlungen und die Rückzahlungen der bereits gegebenen Kredite möglich wurden. Daran hatten alle Kapitalgeber, nicht zuletzt die Bundesrepublik Deutschland, ein sehr starkes Interesse.

Bisher waren die Sozialdemokraten allüberall und immer die Retter in der Not, wenn die alten Parteien sich für das Kapital als nicht mehr brauchbar erwiesen hatten. So auch in Griechenland.

Die sozialdemokratische Pasok ist praktisch nicht mehr vorhanden gewesen. Die alten bürgerlichen Parteien hatten total abgewirtschaftet und müssen erst mühsam mit neuem Personal hochgepäppelt werden. Da kam die von Abweichlern gereinigte Syriza gerade recht.

Tsipras war der Retter aus der Not des Kapitals.

Lafontaine fordert nach diesen Erfahrungen sei es besser, über „die zukünftige Politik in Europa“ nachzudenken.

Es ist sehr gut und höchst notwendig, über die zukünftige Politik in Europa nachzudenken. Dabei gilt es vor allem die gegenwärtige Rolle Deutschlands als imperialistische Großmacht, die Anstrengungen unternimmt, noch größer zu werden, in den Mittelpunkt aller Überlegungen zu stellen.

Die neue linke Europapolitik, die Lafontaine und seine Mitstreiter konzipieren und zu deren wissenschaftlichen und politischen Beratung sie aufrufen, bezieht sich ausdrücklich auf die Zukunft Europas. Ein neuer aktueller Plan für Griechenland ist in den Plänen für Europa nicht enthalten. In ihnen eingeschlossen ist selbstverständlich auch die Zukunft Griechenlands.

Ob und mit welchem Inhalt eine Reform der EU gelingen wird, ist höchst ungewiss; da gibt es viel Wunsch und Hoffnung.

Auch, wenn einige feine Haarrisse sich in einigen Betonköpfen der EU -Verteidiger zeigen, wird es noch geraume Zeit dauern und auch einige zertrümmernde Kraft brauchen bis die Hand der sozialen, friedlichen Demokratie sich nicht mehr an den EU -Betonköpfe wund stößt, sondern zärtlich über das goldglänzende Haar der Europa wird streichen können.

Für Griechenland geht es aber nicht um Zukunftsvisionen. Für Griechenland ist es von existenzieller Bedeutung, dass ein realistischer Rettungsplan aufgestellt wird.

Den gibt es nicht. Im Gegenteil. Syriza und Tsipras und auch Varoufakis haben immer eine Diskussion über die EU und den Euro verhindert.


„Die Linke“ und ihr Vorbild Tsipras


Diese Diskussion soll immer noch verhindert werden, nicht nur von der griechischen sozialdemokratischen Syriza, sondern auch von linken Kräften in Deutschland.

Die meisten Anhänger linkssozialdemokratischer Bewegungen und der verschieden Gruppen und Strömungen der Linken unterstützen Tsipras nach wie vor und halten seine Politik unter den nun einmal gegebenen Umständen für notwendig und richtig.

Gregor Gysi ist gleich nach der Regierungsbildung nach Athen geeilt, um Tsipras seine Aufwartung zu machen. Mit einem Mitglied der neuen Partei Volkseinheit hat er nicht gesprochen Mit einem der kommunistischen Partei sowieso nicht; das hat er hinter sich.

Bernd Riexinger und seine Kovorsitzende gratulierten Tsipras sofort nach seiner Wahl im Namen der Partei „Die Linke“. Protest wurde in der Partei nicht gerade laut; die große Mehrheit stimmt wohl mit Riexinger überein.

Sahra Wagenknecht allerdings fällt es „schwer, Syriza zu ihrem Wahlsieg zu gratulieren. Sie ist der Überzeugung, „ ein soziales Programm, das die Lebensverhältnisse der Menschen in Griechenland endlich verbessert, könnte die neue Regierung nur umsetzen, wenn sie die wirtschaftlich und sozial verheerende Vereinbarung mit den Gläubigern aufkündigt.“

Joachim Bischoff und Björn. Radke allerdings sind überzeugt, dass der „Reformprozess“ von Tsipras Erfolg haben werde. Sie „teilen die These von der gravierenden Niederlage und einem Verrat der Syriza – Mehrheit nicht.“ ( Joachim Bischoff/Björn Radke, ‚Isch over? griechenland und die eurozone, Hamburg 2015) Tsipras hatte grundlegende, fortschrittliche Reformen versprochen und redet auch als neuer Regierungschef noch von ihnen. Dass er sie wünscht, kann man ihm glauben, dass er annimmt, sie noch durchsetzen zu können, fällt schon erheblich schwerer zu glauben, dass er sie wird durchsetzen können kann niemand glauben. Er hat sich der Direktions- und Kontrollgewalt der Troika unterworfen. Bereits die ersten Regierungshandlungen haben gezeigt, dass sein Handlungsspielraum gegen Null tendiert und sein Ermessensspielraum bei der Umsetzung der Vorgaben der Troika winzig klein ist. An eigene Reformen ist gar nicht zu denken.

Bischoff und Radke können auch keine Tatsachen benennen, die berechtigten, eine Besserung der griechischen Verhältnisse zu erhoffen. Mag sein, dass die Gläubiger bereit sind „über Schritte wie die Verlängerung der Laufzeiten und der tilgungsfreien Zeiten europäischer Hilfskredite zu reden.“

An der wirtschaftlichen Lage in Griechenland würde sich rein gar nichts ändern. Nur die Qual des finanziellen Waterboarding würde verlängert.

Alle Hilfen sind Kredite, die zudem zu einem großen Teil dazu dienen, andere Kredite zurückzuzahlen oder Banken zu rekapitalisieren.

An echten Beihilfen sind nur Beihilfen der EU in Aussicht gestellt. Dabei handelt es sich um Gelder, die in den letzten Jahren von Griechenland nicht abgerufen wurden, weil das Drittel Eigenbeteiligung an den Projekten nicht gezahlt werden konnte. Eine solche rückwirkende Gewährung ist allerdings eindeutig rechtswidrig. Es ist ungewiss, in welchem Umfang die Gelder Griechenland zur freien Verfügung stünden, wenn sie denn überhaupt dorthin flössen. Dass dies geschieht ist sehr zweifelhaft; die Länder, die ihre Beiträge gezahlt haben, werden es wohl zu verhindern wissen, dass Griechenland rechtswidrig bevorzugt wird.

Außerhalb von Deutschland ist von Griechenland und Syriza nur noch sehr wenig die Rede. Von Tsipras als nachzueiferndem Beispiel gar nicht. In Portugal z. B. würde man sich in linken Kreisen der Lächerlichkeit aussetzen und verächtliches Kopfschütteln hervorrufen, schlösse man sich nicht den Kritikern des griechischen Ministerpräsidenten an.

Nicht so in Deutschland. Dort gibt es aber auch keine Grünen, die wie in Portugal bereit sind, mit einer kommunistischen Partei, in der das Gedankengut des großen Kommunisten Alvaro Cunhal tradiert wird, ein Wahlbündnis schließen.

Dem portugiesischen Linksbündnis dagegen ist es gelungen, die ultraliberale bürgerliche Regierung zu stürzen und den marktradikalen für die EU kämpfenden Staatspräsidenten in die Enge zu treiben.

Den Linken in Deutschland ist zu empfehlen, den Blick von Griechenland weg nach Portugal zu wenden, wenn sie linken Fortschritt bewirken wollen. Dort kann man seine Vorbilder suchen und im eigenen Land seine Gegner erkennen.

In der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit wird von Portugal recht sparsam nur berichtet. Selbst in der Berichterstattung der jW wird eine sehr wichtige Entscheidung des Linksbündnisses nicht erwähnt: Das Bündnis will zwar die sozialistische Regierung während der ganzen Legislaturperiode unterstützen, sich aber an der Regierung nicht beteiligen.

Auch außerhalb Portugals bewegt sich einiges in Europa. In Italien bildet sich eine neue Linksfraktion „aus Protest gegen den arbeiterfeindlichen Kurs von Premier Matteo Renzi haben aus dessen Partido Democratico (PD) ausgetretene Parlamentarier und Senatoren die Bildung einer neuen linken Partei Sinistra Italiana (SI Italienische Linke) zusammen mit der Sinistra Ecologia e Libertà (SEL, Linke Ökologie Freiheit) und Abtrünnigen aus der Protestbewegung Fünf Sterne (M 5 S).“ (Gerhard Feldbauer. jW, 18.10.2015).

In Europa hat sich die Diskussion zu den Themenkreisen EU, Euro, NATO, Rüstung und Militarisierung in letzter Zeit belebt und beginnt, einige bisherigen Tabuschranken zu durchbrechen.

Da ist es doch schon hoch erklärungsbedürftig, dass Linke außerhalb und innerhalb der Partei „Die Linke“ sich so entschieden hinter und vor Tsipras und seine Syriza stellen, die neue, von Syriza abgespaltene Partei der „Volkseinheit“ gänzlich ignorieren und nicht bereit sind, offenkundige politische Tatsachen der jüngsten griechischen Geschichte angemessen zur Kenntnis zu nehmen und zu kritisieren, wie die 180° Kehrtwendung von Tsipras.

Einige Linke – oder solche, die sich gern als solche bezeichnen lassen – sehen in der Syriza ihr Vorbild, weil es ihr gelungen ist, als offen sozialdemokratisch auftretende Partei bei Aufgabe ihres bisherigen Programms Wahlen zu gewinnen und die Regierung zu stellen. Zutreffend stellt Pablo Graubner fest: „Inzwischen setzt Tsipras die Politik der Memoranden und damit die der sozialdemokratischen Pasok fort.“

Ein Autor der FAZ stellt erfreut dasselbe fest: „In Griechenland entsteht gerade eine sozialdemokratische Partei neuen Typs. Ihr fehlt die klassische Milieubildung, sie wächst aus einer linkspolitischen Bewegung hervor.“ (Zitiert nach jW v. 24.08 2015 unter „Abgeschrieben“)

Es gibt in der Partei „Die Linke“ Gruppen, denen Marx fremd ist, die keine Klassen mehr kennen und keinen Klassenkampf, die für Westorientierung und auch militärisch gestützte Bündnispolitik eintreten und die begierig sind nach Anerkennung und Regierungsbeteiligung.

Diese Gruppen finden von außerhalb der Partei vielfältige Unterstützung. Die Zeitschrift „Z“ zum Beispiel hat in der ungewöhnlichen Form einer gemeinsamen Erklärung der Redaktion zur Unterstützung der sozialdemokratischen Regierung Griechenlands aufgerufen. Sie ist nicht allein.

Es besteht ein Bedürfnis nach Neuorientierung, denn Ängste verstärken sich. Ängste vor Gewalt von rechts sowie von religiösen Fanatikern; Ängste vor drohender Gewalt der Verzweifelten, denen die kapitalistische Gesellschaft nur Not, Erniedrigung und Hoffnungslosigkeit zu bieten hat; Ängste vor Krieg und Vernichtung; Ängste vor dem Abbau von Demokratie und von Selbstbestimmungsrechten in immer mehr Lebensbereichen.

Diejenigen, die eine zweite sozialdemokratische Partei links von der bestehenden formen wollen, sei es nun durch Neuausrichtung der Partei „Die Linke“, sei es als neue Partei, stehen vor der Aufgabe, in den sich verändernden Verhältnissen linke und zugleich sozialdemokratische Positionen zu markieren. Da hofft man Tsipras und Syriza als Vorbild propagieren zu können.

Das geht nach der Kehrwende von Tsipras nicht mehr. Wie die Intelligenteren einsehen, empfiehlt es sich, Tsipras zu beschweigen. Aber er ist noch immer von großem Nutzen, weshalb Riexinger ihm denn auch gratuliert und Gysi ihn aufsucht. Wer für Tsipras eintritt, steht für EU und Euro in ihren gegenwärtigen Grundstrukturen, steht für NATO, Beibehaltung militärischer Rüstung und Abschreckung, steht für kapitalistische Marktwirtschaft und steht zugleich für klein- kleine Reförmchen und zur Bereitschaft, auch diese aufzugeben, wenn die Umstände, sprich die Kapitaleigentümer, es denn verlangen.

Wer sich mit Tsipras solidarisiert, braucht niemandem noch zu beweisen, dass er sich in Deutschland mit Kommunisten oder Marxisten oder Sozialisten je einlassen würde. Er hat seine Koalitions- und Regierungsfähigkeit bewiesen. Das heißt allerdings noch nicht, dass er auch schon die Garantie hätte, sich auf den Regierungssesseln niederlassen zu können. Vielleicht wird sich da auch manch einer mit Erich Kästner sagen, dass es doch schön sei, sich der Frühlingsluft zu erfreuen, denn: (zeitgemäß abgewandelt) „Ich wollte meinen Kapitalisten in den Hintern kriechen, allein es saßen schon zwei Dutzend Prominente drin“.

Es gibt viele Linke, die sich nach der Stallwärme der Sozialdemokraten sehnen und die Regierungsbeteiligung erflehen. Von Gysi sagt Tariq Ali: „Gysis wirklicher Wunsch ist seit langem, die Sozialdemokraten zu umarmen, als ihr linkes Fähnlein zu dienen. °Linkes Fähnlein“: das ist prägnant formuliert und eine richtige Prognose; eine Sottise ist es nicht.

Michael Brie, ein Meister der Begriffsverwirrung, hat die „Transformation“ der Gesellschaft erfunden; darunter versteht er weniger ein in sich geschlossenes theoretisches Konzept, „als eine Art doppelte Absage an orthodoxe sozialdemokratische .wie kommunistische Orientierung.“, hier zitiert nach Pablo Graubner a.a.O.

Sollte sich da nicht mancher biedere Sozialdemokrat, manche brave Sozialdemokratin mal fragen, ob er und ob sie nicht etwa orthodox sind. Orthodoxe, sind die nicht radikal, sind die nicht extremistisch? Sollte da nicht mit Berufsverboten, initiiert einst von einem sozialdemokratischen Bundeskanzler, eingegriffen werden? Eine Nachfrage bei Brie empfiehlt sich.

Marxisten und Linke, nicht nur in der Partei „Die Linke“ sehen der gar nicht mehr so schleichenden Sozialdemokratisierung der Partei sehr passiv und wie gelähmt zu. Die Erklärung der Antikapitalistischen Linken (AKL) vom 15.09.2015, es müsse der Bruch mit der EU und der kapitalistischen Wirtschaft herbeigeführt werden und deshalb könne man Tsipras und Sryriza nicht wählen, hat, so richtig sie ist oder besser, weil sie so richtig ist, sehr wenig Widerhall in der Partei und der Öffentlichkeit gefunden. Auch der Protest gegen den „einfach jämmerlichen theoretischen Aufwand, der betrieben wird, um von Marx weg und zur SPD hin zu gelangen“ (Pablo Graubner) ist zum Proteststurm nicht gerade angeschwollen.

Die Linken in der Partei „Die Linken“ sollten an Thedorakis denken: „Meiner Meinung nach haben der ehemalige Energieminister Panagiotis Lafazanis und die anderen Anhänger der linken Plattform viel zu spät reagiert. Ich bin der Ansicht, dass es in der Syriza-Bewegung sofort zum Bruch hätte kommen müssen, nachdem klar geworden war, dass Alexis Tsipras eine 180-Grad-Wende vollzogen hatte.“


17.09.2015

Griechenland: Marxistische oder sozialdemokratische Erneuerung

 

Die Redaktion der Zeitschrift „Z.“ – Zeitschrift für marxistische Erneuerung hat in ihrem am 1. September erschienen Heft 103 eine Stellungnahme mit dem Titel „Griechenland: Aus Niederlagen lernen“ veröffentlicht. Diese war in der jW vom 12. August, Nr.185 vorabgedruckt worden.

Die Kernaussage der Redaktion, derentwillen wohl ausnahmsweise die Form einer gemeinsamen Erklärung gewählt worden ist, lautet: „Eine vorzeitige Beendigung des griechischen ‚Experiments‘ – wann gab es zuletzt in Europa eine linke Regierung? - durch Teile der europäischen Linken wäre ein großer Fehler. Daher ist die Linke aufgefordert, Griechenland und seine Regierung bei den weiteren Verhandlungen im Widerstand gegen das Austeritätsdiktat zu unter unterstützen, indem sie vor allem in Deutschland spürbaren Druck ausübt.“

Anfang August, bei Redaktionsschluss, war Tsipras noch Regierungschef; am 12. Juli hatte seine Regierung die gegenüber den vorherigen Memoranden noch einmal erheblich verschärften Bedingungen für die weitere Kreditgewährung akzeptiert. Teile der Abgeordneten der Regierungspartei Syriza lehnten das Abkommen ab, sodass Tsipras auf Stimmen aus dem Lager der früheren Regierungsparteien angewiesen war.

Tsipras hatte die Hoffnungen, die er erweckt hatte, enttäuscht und die Versprechungen, die er gegeben hatte, gebrochen.

Deshalb wurde nach der Zustimmung zum Memorandum intensiv diskutiert, ob die Opposition gegen Tsipras sich als neue linke Partei organisieren solle. Diese Partei „Volkseinheit“ ist inzwischen gegründet worden. Tsipras ist als Ministerpräsident zurückgetreten und Neuwahlen wurden angesetzt.

In dieser hochkomplexen Situation, in der in sehr kurzer Zeit immer neue politische Veränderungen stattfanden und stattfinden, in der Entscheidungen getroffen werden, die erhebliche Bedeutung nicht nur für Griechenland haben, zeugt es von beträchtlicher Selbst- und Überzeugungsgewissheit, wenn eine Zeitschriftenredaktion statt zu einer vertieften Analyse und zu offener Diskussion aufzurufen, versucht, unmittelbar einzugreifen und die politischen Akteure, die Linken, zu zensieren.

Auch die offenkundige Gefahr – sie war schon bei Veröffentlichung Wirklichkeit geworden - mit ihrer aktuellen Analyse und aktuellen Parteinahme hoffnungslos hinter der jeweils aktuellen politischen Lage hinter her zu hinken, schreckte die Redaktion von ihrem Vorhaben nicht ab.

Der Entschiedenheit, mit der die Linke, vor allem die in Deutschland, aufgefordert wird, die griechische Regierung zu unterstützen, steht erkennbar im eklatanten Widerspruch zur Unklarheit und Unbestimmtheit der inhaltlichen Aussage.

Welche Regierung Griechenlands ist gemeint und welche Linke?

Mitte August konnte dies nur die Regierung Tsipras gewesen sein. Diese ist am 20. August zurückgetreten. War es nicht möglich, die Erklärung durch einen ergänzenden Zusatz im Hinblick auf die neue politische Situation zu präzisieren oder sie zu entfernen?

Dies geschah nicht und es spricht einiges dafür, dass man mit einer neuen Regierung Tsipras rechnete und auch sie für unterstützenswert hielt und noch hält. Es wurde zunächst in der veröffentlichten Meinung und von Syriza unterstellt, Tsipras erfreue sich so großer Beliebtheit, dass er wieder die Regierung bilden werde. Er selbst ging auch davon aus, deshalb sein Rücktritt und die Neuwahlen und sein Versprechen, nicht mit den Altparteien zu koalieren. Auch dies Versprechen wurde inzwischen zurückgenommen und dann wieder bekräftigt – und wird wohl im Ernstfall der Regierungsbildung wieder korrigiert werden – nachdem die personell etwas erneuerte Nea democratia offenbar in der Wählergunst aufgeholt hat.

Welche Linke meint die Redaktion, wenn diese aufgefordert wird, nicht den großen Fehler zu begehen, der Tsipras Regierung die Unterstützung zu verweigern?

Darüber schweigt sich die Redaktion aus

Die europäische Linke ist ein in stetem Fluss befindlicher, nicht leicht zu fassender Gegenstand, ist kein Edelstein, einem roten Rubin vergleichbar und ist auch kein blassrosa Halbedelstein, dem Rosenquarz ähnlich, sondern ein Haufen von Splittern, sehr unterschiedlich nach politischer Farbe, Herkunft, Größe, Qualität und Wert.

Manche Linken versuchen daraus ein Mosaik zu formen; das ist künstlerisch von höchst zweifelhaftem Wert und dient keinem praktischen Zweck.

Die Redaktion wird schon den Splitter benennen müssen, der, entsprechend zu geschliffen, als Speerspitze geeignet ist, den Kampf gegen die Memorandumgruppe zu bestehen.

Die Mehrheitssyriza und Tspiras haben eine vollständige und endgültige Niederlage erlitten; sie sind, wie es militärisch so unschön heißt, aufgerieben worden. Mit ihnen ist kein Staat mehr zu machen, jedenfalls kein demokratischer und sozialer.

So unklar bleibt, wen die Redaktion mit den Linken meint, die ermahnt werden, keinen Fehler zu begehen, so bestimmt, klar und entschieden benennt sie diejenigen, von denen sie meint, sie kämen als Objekt redaktioneller Belehrung und Ermahnung gar nicht in Betracht. Es handelt sich dabei um die kommunistische Partei Griechenlands, die KKE. Ihr wird eine „Position der linksradikalen Phrase“ unterstellt und es wird behauptet, eine kritische Unterstützung der KKE im Rahmen einer vernünftigen Bündnispolitik hätte die Position der Linken insgesamt verbessert.“ Hätte die KKE also das unbedingte, undiskutierte, nicht verhandlungsfähige Festhalten am Euro akzeptieren sollen, hätte sie dem Memorandum ihre Zustimmung geben sollen?

Diese Fragen zu bejahen, wäre absurd. Thanasis Spanidis hat zu dem Vorwurf der Redaktion, die KKE bediene sich der „linksradikalen Phrase“ in einem Leserbrief an die jW vom 17.8.2015 darauf hingewiesen, die KKE stehe „mit größter persönlicher Aufopferung in allen Kämpfen an vorderster Front, organisiert die Massen, trägt den Geist der Solidarität und des Antikapitalismus in die Betriebe, auf die Straße, in die Armenviertel. Dazu hat die Syriza nichts, aber auch rein gar nichts beigetragen, weder in der Regierung noch davor.“ Es kann und muss diskutiert werden, ob die strategischen taktischen Ziele, die von der KKE verfolgt werden, im richtigen Verhältnis zueinander stehen, aber ihr Hauptziel, die wirtschaftlichen Eigentums- und die politischen Machtverhältnisse nicht im bestehenden System zu verändern, sondern das System selbst zu verändern, ist richtig. Das unterscheidet sie grundlegend von revisionistischen, sozialdemokratischen Parteien. Eine solche Partei ist die Syriza, jedenfalls in ihrer gegenwärtigen Form. In ihrer Programmatik und ihrem politischen Handeln steht sie sogar weit rechts von der ursprünglichen PASOK, die für Sozialisierungen und gegen EU und NATO angetreten war und dann den Weg gegangen ist, den alle sozialdemokratischen Parteien gegangen sind, den Weg des Verrates. Frei nach und mit Helmut Ridder kann man sagen, Aufgabe der Sozialdemokratie sei: Schaumschlagen, Einseifen, Übers Ohr balbieren.

Als Barbier von Athen gibt Tsipras gar keine so schlechte Figur ab.

Die Redaktion der „Z.“ meint, das Hauptziel der Memorandumgruppe sei die „Delegitimierung“ der griechischen Regierung gewesen. Das ist eines ihrer Ziele gewesen. Aber das Hauptziel? Seit wann interessieren sich EZB primär für die Legitimierung ihres Handelns und des Handels derer, die ihrer Gewalt unterworfen sind? Selbst der Bruch der Legalität wird inzwischen ziemlich allgemein festgestellt und beklagt, aber letztlich hingenommen. Diese Institutionen interessiert vor allem die Macht. Auf die Knie – lautet der Befehl. Auf die sind die Mehrheitssyriza und Tsipras dann auch gesunken. Wenn sich dabei die Regierungspartei zerlegt und ihre Wähler sich von ihr abwenden: umso besser. Dann lässt sich leichter eine Regierung der nationalen Einheit bilden, aber ohne die „Volkseinheit“.

Am 20. September 2015 sind Wahlen.

 

27.08.2015

Griechenland; Neues vom Kampf gegen den Grexit

 

Der von mir am 01.08.2015 in den Blog meiner Homepage eingestellte Beitrag zu Griechenland wurde am 02.08.2015 in der jW, von mir nicht genehmigt und redaktionell verkürzt, als Leserbrief veröffentlicht.

Seitdem hat sich in Griechenland in extrem kurzer Zeit viel und Entscheidendes verändert. Stichwortartig ist vor allem auf folgende Tatsachen hinzuweisen::

Tsipras, bis vor kurzem Ministerpräsident und Vorsitzender von Syriza hat sich vom bad guy in einen good guy (A. Wehr) der Institutionen verwandelt. Zuvor heftig bekämpft und wie sein Finanzminister missachtet und ziemlich verachtet, ist er für die Troika, inzwischen erweitert um den ESM, den Europäischen Stabilitätsechanismus, zum geschätzten Gehilfen ihrer „Reformpolitiik“, geworden, der das zuvor durch Volksentscheid abgelehnte und inzwischen noch um einige Gemeinheiten ergänzte Memorandum nun zielgerichtet und effektiv umsetzt, wenn auch unter verbalem Ablehnungsgetöse.

Auch die ersten Privatisierungen sind schon vorgenommen worden; Häfen, die Gewinne abwerfen oder Gewinne versprechen, wurden verkauft, um Schulden zu bezahlen; die Kosten der kleinen Inselflughäfen wird der Staat übernehmen müssen, wenn sie nicht geschlossen werden sollen. Von wem und auf Grund welcher Feststellungen und Gutachten der Verkaufspreis ermittelt worden ist, wurde der Öffentlichkeit nicht mitgeteilt.

Die Troika ist nun wieder in Athen und stellt erfreut fest, dass die Zusammenarbeit mit der Regierung und deren Ministerialbürokratie besser ist als die mit den Vorgängerregierungen.

Tsipras hat sogar eine weitere Vergrößerung der Troika dem Präsidenten des EU Parlaments, M. Schulz vorgeschlagen mit der Begründung, das EU Parlament sei das am meisten demokratisch  legitimierte Organ der EU. Schulz und der SPD Vorsitzende Gabriel gehörten mit Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble zu den schärfsten Kritikern Tsipras. Zu der reichlich befremdenden Demokratieauffassung von Tsipras sei an dieser Stelle nur angemerkt, dass sie nicht vereinbar ist mit wissenschaftlichen Demokratie- und Parlamentarismustheorien welcher Provenienz auch immer.

Ein problematisches Demokratieverständis zeigt sich auch in der sehr kurzfristigen Anberaumung von Neuwahlen, obwohl beschlossen worden war, die Frage der Neuwahlen auf einem Parteikongress zu erörtern und zwar auf  Antrag von Tsipras.                                  

Neuwahlen in einer Situation, in der zahlreiche Mitglieder der Syriza Partei und Fraktion verlassen haben und die Neugründung einer neuen linken Partei beschlossen wurde, bedürfen einer eingehenden Diskussion und Beratung in den gesellschaftlichen Institutionen und den politischen Parteien. In der Kürze der Zeit ist das nicht möglich.

Es lässt sich auch nicht ausschließen, dass die von sehr unterschiedlichen politischen Kräften vertretene These zutrifft, der frühe Wahltermin sei gewählt worden, damit die Wähler die sozialen und wirtschaftlichen Folgen nicht mitbekämen, die in Zukunft mit Sicherheit aus der Exekutierung der Memorandumspoliitk durch Tsipras sich ergeben werden.

In einer Situation,

in der Tsipras und die Mehrheit seiner Partei unter Mithilfe der Altparteien, die das Desaster verursacht haben, alle Versprechen, die den Wählern gemacht worden sind, gebrochen und alle Hoffnungen auf einen Politikwechsel und ein besseres, weniger elendes Leben in der Zukunft enttäuscht haben,

in einer Situation,

in der neue linke Kräfte sich formieren, die den Grexit nicht fürchten,

in einer Situation,

in der auch rechte und ultrarechte Kräfte ihre Chance wittern,

in einer Situation,

in der die Mehrheit der Syriza nun auch offen auftritt als das, was sie ja schon immer war, nämlich als eine neue sozialdemokratische Partei, fest und treu zur EU, zum Euro und zur NATO stehend,

in einer Situation, in der es nicht nur um Griechenlands Zukunft geht, sondern auch um den, gewiss vorläufigen, aber dann doch erstmal vollständigen Sieg des Neoliberalismus, des westlichen Imperialismus und der deutschen bestimmenden Rolle in ihm,

in dieser Situation also,

sollte man doch denken und hoffen. die Linke in Deutschland und  in Europa werde diese Situation ohne Denkverbote analysieren, um fortschrittliche, demokratische, antiimperialistische Ziele auszuarbeiten und die Mittel zu benennen, um sie zu erreichen.

Das ist leider nicht der Fall. Die Mehr der „Tsipras- Euphoriker“ will sich weder mit den Fehlern von Tsipras befassen, noch mit den eigenen Illusionen über dessen Politik. G. Fülberth hat  eingehend begründet, warum  dies richtig sei; damit unterscheidet er sich positiv von manch anderen Autoren,

In einem Beitrag in der jW vom 15/16 August schreibt er: „Irgendwann wird eine Geschichte der Syriza – Regierung geschrieben werden. Da wird von Fehlern und Illusionen zu lesen sein. Wer Lust hat, kann schon einmal eine Datei anlegen. Jetzt hilft das niemandem. Zum Glück überwiegt gegenwärtig eine Art linker Grundanstand, der Zeige- und ‚Stinkefinger in der Tasche lässt.“

Die Geschichte der Syriza – Regierung wird nicht „irgendwann“ geschrieben werden. Sie wurde von der Regierung selbst täglich geschrieben und wurde weltweit registriert und kommentiert. Die Syriza Bewunderer wurden nicht müde die historische Bedeutung der Politik von Syriza hervorzuheben. Geschichte ist nicht nur das, was „irgendwann“ einmal als Vergangenheit betrachtet werden wird; es gibt auch Zeitgeschichte, die sehr aktuell sein kann, wenn in kurzer Zeit bedeutende politische und gesellschaftliche Veränderungen stattfinden.

Voll herablassender Überheblichkeit befindet Fülberth, wer Lust habe, könne schon einmal eine Datei anlegen, doch bringe das nicht viel. Allerdings geht es hier nicht um Lust oder Unlust, nicht darum, sich durch das Anlegen einer Datei  wissenschaftlich selbst zu befriedigen, sondern um die Feststellung und Analyse von Tatsachen und die Diskussion von Handlungsmöglichkeiten- und Erfordernissen. Und dies bringt was.

Für ein Glück hält Fülberth, dass es einen linken Grundanstand gäbe, der „Zeige- und Stinkefinger“ in der Tasche lasse. Übersetzt aus diesem Jargon der Uneigentlichkeit, bedeutet dies, dass eine Analyse von Fakten und eine Kritik politischer Handlungen im Falle von Tsipras und Syriza glücklicherweise nicht stattfindet; das gebiete auch der Anstand. Fülberth ist ein vielgelesener und gelobter Autor; er ist bestens vernetzt in der linken Szene, wie u.a. seine innige Zitier- und Lobesgemeinschaft mit Dietmar Dath zeigt.

Kritik an der Mehrheits-Syriza und Tsipras und der linken Tsipras Gefolgschaft zu üben, das kann sich zwar einer leisten – der Autor dieser Zeilen meint, dazuzugehören – der „auf niemand anderen angewiesen“ ist, aber jede andere,  „die hat nichts zu lachen, wenn sie einmal ihre Situation vergisst.“ Und diese Situation ist vor allem für junge, linke wissenschaftlich Arbeitende jammervoll bedrückend, vor allem, wenn sie weiblich sind. Sie leben in prekären Einkommens- und Beschäftigungsverhältnissen, und zudem stets in Gefahr, als linksextremistisch und als linksradikal verfemt, verfolgt und für ihre wissenschaftliche und politische Arbeit abgestraft zu werden. Da bedarf es schon einigen Mutes, sich am wissenschaftlichen Meinungsstreit zu beteiligen und die Politik von Tsipras zu kritisieren. Wenn einem dann noch von vorgehalten wird, man handele ohne Anstand, schweigt man wohl besser.

Es könnte dann auch die Behauptung unwidersprochen bleiben: „Zwischen Schäuble und Tsipras gibt es keine Gemeinsamkeiten.“ In dem  springendem Punkt sind sich Schäuble und Tsipras völlig einig: Beide –und Frau Merkel ganz entschieden sowieso – wollen, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt. Weil Schäuble wusste, dass Tispras unter keinen Umständen die Eurozone verlassen will, glaubte er ihm mit dem Grexit drohen zu können; aber wohlgemerkt nur mit einem zeitlich begrenzten. Diese Drohung blieb wirkungslos, schließlich wusste auch Tsipras, wer die Herrin und Meisterin des Finanzministers. ist

Fülberth ist zuzustimmen, wenn er schreibt, „irgendwann“ werde es einen Schuldenschnitt geben, Da heiße es halt abzuwarten. Dazu aber ist die Zeit zu knapp.

Griechenland braucht den Schuldenschnitt jetzt. Wenn er ihm nicht gewährt wird – und das wurde er nicht und wird es in absehbarer Zeit nicht, schließlich ist Griechenland nicht die Ukraine – bleibt nur die Einstellung der Zahlungen, die Rückkehr zur Drachme und die Suche nach wirtschaftlicher, finanzieller und politischer Unterstützung, die nur aus dem nicht von den USA und der BRD dominierten Raum kommen kann.

Auf die Linke in der BRD sollte man auf Unterstützung nicht hoffen; sie steht hinter Tsipra, der auf den Euro unter keinen Umständen verzichten wird. Selbst ein um die fortschrittliche, linke Bewegung so hochverdienter Mann wie Klaus Steiniger schreibt im „Rotfuchs“, August 2015: „Am 5. Juli ist in Hellas eine historische Schlacht von kontinentaler Tragweite geschlagen worden.

“Da stellt sich dann doch wohl die Frage, was für eine Schlacht geschlagen sein soll, wenn 61 % der Wahlberechtigten in einer Befragung einer Politik zustimmten, deren Erfolgsaussichten, sehr zurückhaltend ausgedrückt, nicht gerade groß waren.

Mit dem Begriff „Schlacht“ sollte man gerade in Griechenland sehr vorsichtig sein: Es ist bedrückend und sehr traurig, wenn er auf einen Wahlvorgang angewandt wird; ist doch  in Griechenland die Erinnerung noch sehr stark an die wirklichen Schlachten, die von den besten, mutigsten Kräften des griechischen Volkes im Kampf gegen den Hitlerfaschismus und nach dessen Niederlage gegen die Interventionen der Briten und der Amerikaner für den Sozialismus in Griechenland geschlagen wurden. Das waren die wirklichen Schlachten, in denen viele ihr Leben verloren haben und einen Tod erlitten, erbärmlich, einsam und qualvoll.

Für eine sozialdemokratische Politik à la Tsipras haben sie nicht gekämpft.


01.08.2015

Der Grexit, die USA und Russland oder Die Wahrheit ist in den Tatsachen zu suchen

 

Tatsache ist: Das „Rettungsprogramm“ für Griechenland von der EU, dem IWF und der EZB seit mehreren Jahren gefordert und durchgesetzt ist „grandios an die Wand gefahren“ (Hans–Werner Sinn) worden und führte zu Deindustrialisierung, allgemeinem Rückgang der Produktion, Arbeitslosigkeit, Verarmung und Verelendung. Tatsache ist: Der griechische Staat und ein beträchtlicher Teil seiner Bürger sind seit vielen Jahren hoffnungslos überschuldet. Schulden, die neu aufgenommen wurden, dienten der Begleichung alter Schulden und dem Gläubigerwechsel. Öffentliche Kreditgeber traten an die Stelle der privaten Kreditgeber und übernahmen deren Risiken.

Tatsache ist: Die Staatschulden wurden von Jahr zu Jahr größer. Der Staat hätte seine Zahlungsunfähigkeit erklären müssen. Das wurde durch immer neue Kreditvergaben verhindert, auch durch die des letzten Krisengipfels.
Tatsache ist: Die USA haben ein großes, vielfach geäußertes Interesse am Verbleib Griechenlands in der Eurozone.
Die Akteure in diesem Griechenlanddrama gehen und gingen mit diesen Tatsachen sehr unterschiedlich um. Diese wurden und werden teils schlicht geleugnet oder verschleiert. Ihre Relevanz für Wirtschaft und Politik Griechenlands wird, wenn denn zur Kenntnis genommen, höchst kontrovers eingeschätzt, abhängig von den jeweiligen ideologischen Präferenzen und den politischen und wirtschaftlichen Interessen.
Statt Tatsachen zu analysieren findet gelegentlich auch nur Gerede, gehauen nicht und nicht gestochen über Würde, Werte, Ehre, Schande, Erniedrigung usw. statt, das die Mächtigen nicht beeindruckt und den Unterdrückten nicht hilft, den Kampf gegen ihre Unterdrückung zu organisieren.
Die deutsche Bundeskanzlerin hat früh, wiederholt und bis zum Schluss mit großer Entschiedenheit festgestellt: „Scheitert der Euro, scheitert Europa.“ Eine recht gewagte Behauptung, denn weder Europa noch die EU sind identisch mit der Eurozone. Durch diese Feststellung gewann die Politik, die von der Bundeskanzlerin maßgebend mitbestimmt wurde, eine enorme politische Stoßkraft: Griechenland müsse unter allen Umständen im Euro gehalten werden. Der Staatsbankrott müsse verhindert werden, wenn nötig durch immer neue und höhere Kreditvergabe und durch faktische Übernahme der Regierungsgewalt durch die Institutionen IWF, EZB, EU-Kommission. Die Argumentationskette: Scheitert der Euro in Griechenland, scheitert, weil andere Eurostaaten auch fallieren, der Euro und dann ist Europa gescheitert, hält nicht mehr, Sie wurde ohnedies nicht durch Tatsachen, sondern durch den politischen Willen der Bundeskanzlerin und ihrer Bundesgenossen zusammengehalten.
Griechenland hat, jedenfalls jetzt, Probleme, die keine Gefahr bedeuten für Portugal, Spanien, Italien oder gar Frankreich. Die Erkenntnis, dass die Griechenland aufgezwungene neoliberal-fundamentalistische Wirtschaftspolitik nicht verschärft fortgesetzt werden kann, dass ferner eine Entschuldung des Staates notwendig ist und dass, wenn ein Verzicht der Gläubiger nicht erreicht werden kann, der Grexit unausweichlich ist, setzt sich in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft immer mehr durch. Leider aber nicht im griechischen Parlament, auch nicht in der – noch? – Regierungspartei Syriza und ihrem Ministerpräsidenten Tsipras.
Von ihm ist nur zu hören, dass ein Grexit eine Katastrophe wäre. Wohl wahr, aber die Frage ist, ob eine größere Katastrophe als die schon über Griechenland und besonders über seine lohnabhängig Arbeitenden und seinen lohnabhängigen Arbeitslosen bereits hereingebrochen ist: Diese Katastrophe wird mit Sicherheit durch die in Brüssel beschlossenen Maßnahmen noch größer werden.
Ein Grexit hätte den Vorteil, dass der griechische Staat sich seiner Schulden entledigen und sich aus der Zwangsherrschaft der Institutionen befreien könnte.
Allerdings saß bei den Verhandlungen in Brüssel stets ein nicht sichtbarer Teilnehmer mit am Tisch: Der Präsident der USA, Obama. Dieser war zwar nicht bereit, auch nur einen Dollar für Griechenland auszugeben, übte aber erfolgreich starken Druck auf die Bundeskanzlerin aus, auf jeden Fall den Grexit zu vermeiden. Durch einen Grexit sehen er und seine Verbündeten geostrategische, militärische und wirtschaftspolitische Interessen gefährdet. Aktuell ist zwar nicht anzunehmen, und wird wohl auch von den USA nicht befürchtet, dass Griechenland, dem Beispiel der USA folgend, Flugabwehrbatterien auf seinen Inseln stationiert und in anderen Ländern farbige Revolutionen initiiert und finanziert. Aber auf der Suche nach Unterstützung, Rat und Hilfe wäre wahrscheinlich, dass es nach China und Russland schauen würde.
Die Drohung mit dem Grexit wäre für die griechische Regierung ein sehr starkes Druckmittel gewesen, Schuldenminderung zu erreichen. Hätte dieses Druckmittel nicht ausgereicht, hätte man sich auf den Grexit vorbereiten müssen.


2015 - Prof. Dr. Peter Römer, Kassel